Der Ruf des Kookaburra
Leben auf die bestmögliche Art weiterlebte. Er würde sich wünschen, dass seine Frau wieder glücklich wäre. Gewiss würde er Emma eine neue Liebe gönnen. Es gab also überhaupt keinen Grund, sich gegen das, was sie für John zu fühlen begann, so heftig zu wehren.
»Emma!«
Sie blinzelte.
»Du siehst plötzlich so abwesend aus. Ist alles in Ordnung?« John musterte sie besorgt, während Belle an seinen Ohren und dem dichten, dunkelblonden Haar zupfte.
»Ja.« Emma schluckte. »Natürlich. Alles in Ordnung.«
Den ganzen Tag über verfolgte Emma der Gedanke, dass sie gelogen hatte.
Denn anders, als sie John versichert hatte, war überhaupt nichts in Ordnung. Ihr Verstand war dabei, Oberhand über ihr Herz zu gewinnen und sie dazu zu bringen, Carl aufzugeben. Und obwohl alle um Emma herum ihr genau das geraten hatten, obwohl sie wusste, dass es vernünftig und richtig war, schrie ihre innere Stimme verzweifelt dagegen an. Weigerte sich nachzugeben, brüllte und tobte und hielt die Hoffnung auf ein Wiedersehen hartnäckig am Leben.
Solange diese Stimme nicht verstummte, konnte sie John ihre Zuneigung nicht schenken, das wurde Emma mit jeder einzelnen Minute, die mit Packen, Kochen und Grübeln verstrich, klarer. Erst musste sie vollkommen davon überzeugt sein, dass ihr Leben mit Carl unwiderruflich vorbei war. Erst dann – und auch nur vielleicht – würde sie die große Liebe gegen etwas Leichteres, Geringeres eintauschen können. Gegen eine lustvolle Liebelei. Eine sehr enge Freundschaft. Gegen eine Beziehung, die sie nicht glücklich machen würde, aber zumindest … zufrieden.
Wäre das nicht besser als nichts?
Zufrieden? Emma, du bist nicht dazu bestimmt, weniger als glücklich zu sein.
Ihre innere Stimme? Oder meldeten sich da mal wieder die Marmbeja zu Wort? Genervt legte Emma den Kopf in den Nacken. Sie warf einen langen Blick in die hohen Wipfel.
Wenn ihr wollt, dass ich glücklich bin, beschied sie den unsichtbaren Geistern in der Höhe, dann gebt mir gefälligst meinen Mann zurück.
Ach, seufzte es in den Blättern oder in ihrem Herzen, wenn es nur so einfach wäre.
19
D er erste Tag der großen Wanderung war silbergrün und mild.
Die Dingos waren die Einzigen, die unsichere Blicke zurückwarfen. Unter den Menschen hingegen herrschte eine erwartungsvolle Aufregung. Frauen, Männer und Kinder redeten schnell und laut durcheinander, und bald ließen die Dingos sich von der allgemeinen Geschäftigkeit anstecken und rannten allen zwischen den Beinen herum.
Sie waren jetzt in der Gegend, wo Emma Carl nach seinem Verschwinden gesucht hatte, wo sie gestürzt war und sich verletzt hatte. Beinahe vier Monate war das nun schon her. Anders als damals fiel ihr heute auf, wie schön dieser Teil des Regenwaldes war; wie viel mehr purpurfarbene, gelbe und weiße Blüten sich ihrem Auge darboten als in der Umgebung des Lagers und wie viel süßer es roch. Emma fühlte sich wie in einem vernachlässigten, aber zauberhaften alten Garten, umgeben von satter Üppigkeit und geheimnisvollem Dickicht.
Sie hatte die Trage mit Belle darin auf den Rücken geschnallt und führte Princess am Zügel. Die Stute zockelte neben ihr her und trug geduldig die schwere Last, die Emma ihr aufgeladen hatte: Papier und Schreibzeug, die wichtigsten Utensilien für die Körperpflege, Kleidung für Emma und Belle sowie zwei Decken. Das alles war teils in Satteltaschen verstaut, teils in schwankenden Bündeln auf den Pferderücken gepackt.
Neben Emma ging John mit Sirius, der nicht nur die Habe seines Herrn, sondern zusätzlich Emmas schweren Zeltstoff schleppen musste. Emma hatte lange überlegt, ob sie ihr Zelt wirklich mitnehmen sollte, denn die Wintermonate waren trocken und die Gefahr, im Nassen zu nächtigen, gering. Aber John, der weniger an das wilde Leben in der Natur gewöhnt war als sie, hatte darauf bestanden – nicht zuletzt in seinem eigenen Interesse.
»Wir nehmen das Zelt mit, dann habt ihr, du und Belle, es schön gemütlich. Und wenn es tatsächlich mal regnen sollte, kannst du mich ja unter euer Dach lassen«, hatte er gesagt. Verschmitzt hatte er hinzugefügt: »Ich drücke mich auch an den äußersten Rand. Du wirst gar nicht merken, dass du nicht allein im Zelt bist. Versprochen.«
Mit John in einem Zelt schlafen?
Empört hatte sie ablehnen wollen, doch sein Lächeln war so harmlos gewesen, dass sie sich albern vorgekommen war. Sie waren schließlich gemeinsam auf einer rituellen Wanderung, da
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