Der Ruf des Kookaburra
zurechtkomme.«
John schwieg eine Weile.
Dann warf er ihr einen seltsamen Blick zu.
»Hast du schon mal daran gedacht … Ach, egal.«
»Woran?«
»Nichts.«
»Komm schon, John, sag es, jetzt hast du mich neugierig gemacht!«
Er zögerte. »Na ja, ich dachte nur, wenn er dich nicht mag … und deinen Mann vielleicht auch nicht gemocht hat … ob er vielleicht …«
Sie starrte ihn an, während der Verdacht, den John hegte, in ihrem eigenen Kopf Form annahm.
Grundgütiger!
»Du meinst, er könnte etwas mit Carls Verschwinden zu tun haben?«
John zuckte mit den Schultern. »Ich will ihn nicht verdächtigen. Aber es wäre eine Möglichkeit, oder? Schließlich wurde dein Mann nie gefunden.«
Moment, langsam. Moment!
Glaubte John tatsächlich, dass …
»Dayindi soll Carl umgebracht haben?« Alle Farbe war aus Emmas Gesicht gewichen.
Unbehaglich ruderte John zurück. »Das ist nichts als eine Idee! Ich meine, irgendetwas muss ja mit deinem Mann passiert sein. Denn dass er dich verlassen hat, kann ich mir nicht vorstellen.« Ungewohnt ernst fügte er hinzu: »Je länger ich dich kenne, desto weniger.«
Sie schauten einander in die Augen, und Emma bemühte sich vergeblich, des Aufruhrs in ihrem Inneren Herr zu werden. Alles wirbelte durcheinander: Johns Kompliment, das ein bisschen zu vertraulich geklungen hatte; Dayindis hasserfüllte Blicke, mit denen er sie schon seit Monaten verfolgte; Carls Liebe, an der sie niemals wirklich gezweifelt hatte, trotz seines Verschwindens und trotz ihrer Alpträume; und über allem, wie ein Gewitter, das jederzeit losbrechen konnte, dieser unglaubliche, ihre ganze Welt aus den Angeln hebende Verdacht.
Dayindi ist an jenem Morgen in den Regenwald gegangen. Genau wie Carl.
Sie spürte, wie ihr übel wurde.
Dayindi hasst mich, weil ich gegen ihn rebelliert und Belle gerettet habe. Ist es nicht ganz logisch? Als Ausgleich dafür, dass ich das Baby behalten durfte, hat er mir Carl genommen.
Die Bäume um Emma herum drehten sich immer schneller. Viel zu schnell, um auf den Füßen zu bleiben.
Das ist sein Verständnis von Gerechtigkeit. Er hat es doch selbst gesagt: Leben gegen Leben.
»Ich muss mich für einen Moment hinsetzen«, flüsterte Emma.
»Natürlich.« John warf ihr einen nervösen Blick zu und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Emma, es tut mir leid. Ich hätte nichts sagen sollen. Wahrscheinlich ist das alles bloß dummes Zeug, dein Mann ist schlicht und einfach verunglückt und …«
Während er redete, schnallte er Emma die Trage vom Rücken und nahm ihr Belle ab, doch sie bemerkte es kaum. Seine Worte rauschten an ihr vorbei, als sie sich auf den Boden sinken ließ, die Augen schloss und darauf wartete, dass Schwindel und Übelkeit nachließen. Ruhig atmen, dachte sie. Ruhig atmen. Atmen … atmen …
Die Schlingpflanze neben ihr, rot und voll erblüht, verströmte ihren schweren Duft. Moderig, faulig. Leichengeruch.
Emma beugte sich zur Seite und erbrach sich.
»Verdammt, verdammt, verdammt! Warum kann ich bloß nie meine Klappe halten?«, fluchte John leise vor sich hin, während er sich neben Emma kniete und ihr ein Taschentuch reichte. »Geht’s besser? Herrgott, ich hätte das alles nicht sagen dürfen.«
»Schon gut.« Sie nahm das Taschentuch und wischte sich damit den Mund ab. Die Übelkeit war abgeflaut; dafür stiegen nun Verlegenheit und Scham in ihr hoch.
»John, ich wollte nicht vor deinen Augen … Himmel, das ist so eklig …«
»Ich habe Medizin studiert«, erinnerte er sie sachlich. »Glaub mir, in der Zeit habe ich weit Ekligeres gesehen.«
»Das beruhigt mich.« Sie lächelte schwach.
»Kannst du aufstehen?« Forschend musterte er sie. »Ich fürchte, wir müssen weiter, sonst verlieren wir die anderen.«
»Natürlich. Es geht schon wieder.«
Funktionieren, Emma! Einfach funktionieren, so wie jeden Tag, seit Carl weg ist.
Emma rappelte sich auf. Sie hängte sich die Trage mit der schlafenden Belle um, griff nach Princess’ Zügeln und setzte sich entschlossen in Gang. Weder John noch sie kannten den Weg; sie wussten lediglich, dass die erste Etappe der Wanderung in Richtung Warwick gehen sollte. Und deshalb durften sie auf gar keinen Fall den Anschluss verlieren, auch wenn Johns Verdacht – ihr Verdacht – in einer Endlosschleife durch ihren Verstand zog.
Ununterbrochen um Aufmerksamkeit bettelte.
Nicht jetzt, dachte sie und biss die Zähne zusammen. Weiter, nur rasch weiter.
Denn wenn sie den Clan
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