Der Ruf des Kookaburra
auch sie überzeugt. Ganz anders, schoss es ihr durch den Kopf, sah es mit Johns Nähe in Kombination mit ihrer eigenen Einsamkeit aus. Liebe Güte, sie würde aufpassen müssen, dass sie sich heute Nacht nicht im Halbschlaf an ihn schmiegte …
Emma riskierte einen schnellen Blick auf John, sein braun gebranntes Gesicht, die dunklen Augenbrauen, das dichte blonde Haar.
Vielleicht sollte sie einfach Belle zwischen sich und diesen attraktiven Engländer legen. Ja, das war ein guter Plan, und außerdem denkbar einfach.
Einfach und, wenn sie das Flattern in ihrem Magen richtig deutete, absolut notwendig.
Dass sie dem Ritual nicht beiwohnen durfte, ärgerte Emma – je länger die Lieder durch die Nacht zu ihr herüberwehten, desto mehr.
Sie wusste von Birwain, dass große Teile des Wanderkultes streng geheim waren. Emma und John durften zwar mit den Schwarzen durch das Land ziehen, doch den meisten Ritualen würden sie fernbleiben müssen. Manche Rituale blieben sogar den schwarzen Frauen verschlossen; nur eingeweihte Männer durften die roten Kulthölzer an sich nehmen, deren Enden mit schwarzen und weißen Strichen bemalt waren, und sie zu den Kraftplätzen bringen. Was dort mit den Hölzern geschah, darüber konnte Emma nur spekulieren: Mussten sie in einer bestimmten Richtung in die Erde gesteckt werden, wie sie die Frauen hatte tuscheln hören? Oder bestand der wichtigste Teil des Rituals darin, Fleisch an den Hölzern zu reiben, wie es einige vorwitzige Buben vermuteten?
All diese Annahmen waren zwar interessant, aber eben keine belegbaren Tatsachen, dachte Emma missmutig. Wie gerne hätte sie die Kolonialregierung mit authentischen, aufregenden Berichten über die Wanderrituale überrascht!
»Schreib trotzdem alles auf«, riet John ihr im Feuerschein und biss von seinem Fladenbrot ab. »Besser Vermutungen als gar keine Ergebnisse. Der Gesang klingt übrigens ziemlich unmelodisch, findest du nicht? Vielleicht solltest du das erwähnen.«
Emma musste trotz ihrer Niedergeschlagenheit lachen. »Na ja, es war nicht zu erwarten, dass die Schwarzen christliche Choräle zum Besten geben. Aber um die Ästhetik geht es bei einem Ritual ja auch nicht. Sag mal, kannst du außer Gesang irgendwas erkennen?«
Er horchte. »Gestampfe. Und klackende Geräusche … Klingt, als schlügen sie Hölzer gegeneinander.«
»Genau das vermute ich. Wenn du es auch hörst, kann ich es wohl in meinem Bericht vermerken.«
»Aber erst, nachdem du etwas gegessen hast! Im Moment schlage ich mir ganz allein den Bauch voll, und das, meine Liebe, ist weder gesellig noch gesund.«
Emma riskierte einen Blick auf die Stelle von Johns Leinenhemd, unter der sich sein Bauch befand. Zwar hatte sie ihn noch nie mit nacktem Oberkörper gesehen, aber vermutlich war sein Bauch ebenso makellos wie der Rest des Mannes. Schlagartig fiel Emma wieder ein, was ihr bevorstand: eine Nacht mit John in ihrem Zelt …
Wie sollte sie bei dieser Aussicht auch nur einen Bissen herunterkriegen?
»Ich hab keinen Hunger«, murmelte sie und wandte sich ab, um ins Zelt zu schlüpfen und der schlafenden Belle ihre Decke zurechtzuzupfen. Erst als sie sicher war, dass ihr Gesichtsausdruck keinerlei Gefühlsregung mehr preisgab, setzte sie sich wieder zu John an das Feuer.
»Wollten wir nicht Kriegsrat halten?«, fragte sie ausdruckslos.
»Ja.« Sofort legte John das letzte Stück Fladenbrot beiseite und blickte sie ernst an. »Emma, ich habe mir die ganze Sache durch den Kopf gehen lassen, während du Belle geholt hast. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es völlig sinnlos ist, Dayindi unter vier Augen zu befragen. Der Kerl wird niemals freiwillig etwas preisgeben, das seine Ehre verletzt oder ihn ins Unrecht setzt.«
Emma nickte nachdenklich.
»Aber auch offen können wir uns nicht gegen ihn stellen. Sonst haben wir den gesamten Clan gegen uns. Mit der Ältesten-Würde ist nicht zu spaßen, das haben wir ja an Birwains Reaktion gemerkt.«
»Viele Möglichkeiten bleiben uns also nicht«, sagte John. »Außer …«
Neugierig wartete Emma darauf, dass er weitersprach.
Zögernd sagte er: »Wenn du wirklich glaubst, dass Dayindi deinem Mann etwas angetan hat, dann könnten wir eine Botschaft an die Behörden schicken. Man wird Dayindi abholen und die Wahrheit aus ihm …«, er räusperte sich unbehaglich, »ähm, herauskitzeln.«
Emma überlief ein Schauder. »Kitzeln wohl kaum. Du liebe Güte, John, das ist doch keine Alternative!«
»Du warst
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