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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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geratene Monster sah, als das sie selbst sich fühlte.
    Sie rückte eine Spur näher an ihn heran und fragte stockend: »Dass ich bald mehr erfahren werde … und Teil von allem sein werde … meinst du, das war eine Drohung?«
    »Absolut«, sagte John grimmig. »Aber keine Angst, ich werde schon zu verhindern wissen, dass dir etwas passiert. Der Kerl soll es bloß nicht wagen, auch nur in deine Nähe zu kommen!«
    Sein Arm legte sich fest und beschützend um Emmas Schultern. Sie schloss die Augen und erlaubte es sich ausnahmsweise, ihre Prinzipien zu durchbrechen und sich an John anzulehnen.
    Nur ein paar Sekunden lang Sicherheit spüren.
    Ja, sie liebte Carl. Sie wollte unbedingt wissen, was mit ihm geschehen war und ob sie weiterhin hoffen durfte. Aber jetzt, in diesem Augenblick, brauchte sie dringend Zuspruch und Trost, und Carl war nicht da.
    John war da.
    Er zog sie näher zu sich heran. Sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Haar, und für einen herzklopfenden, panischen Moment dachte sie, er würde sie küssen. Doch John ließ sie wieder los, erhob sich und sagte entschlossen: »Lass uns zu Birwain gehen. Der Alte scheint mir noch der Vernünftigste hier zu sein. Wir müssen mit ihm sprechen und uns seiner Hilfe vergewissern.«
    Emma sah zu John auf und wünschte sich die Wärme seiner Umarmung zurück. »Wir haben keine Beweise.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Aber auch keine andere Wahl.«
    Birwain schien wenig geneigt, den besorgten Weißen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Kaum konnten sie ihn dazu bewegen, sich kurz vom Trubel des provisorischen Lagers ins einsame Dickicht zurückzuziehen.
    »Jederzeit, meine Freunde, aber nicht jetzt!«, krächzte er unwillig. »Das erste heilige Ritual steht unmittelbar bevor. Noch heute Abend werden wir uns am schwarzen Tümpel mit der Kraft der Fischfrau vereinigen. Ich muss mich darauf vorbereiten; alles andere kann warten.«
    »Auch wenn es um Leben und Tod geht?«, fragte John mit hochgezogenen Brauen.
    »Kommt darauf an, um wessen Leben und Tod«, sagte Birwain trocken.
    Als John und Emma ihn entsetzt anstarrten, seufzte er. »Das war ein Scherz. Auch wir Wilden haben so etwas wie Humor, wisst ihr? Also, wer balanciert am Rande des Abgrunds und braucht so dringend meine Hilfe?«
    Gerne wäre Emma sofort mit allem herausgeplatzt, doch Birwains ungewohnter Tonfall verunsicherte sie. So hilfsbereit und gütig der Schamane sich ihr gegenüber normalerweise verhielt, so zynisch und unfreundlich war er jetzt. Anscheinend stand er sehr unter Druck, alles für das abendliche Ritual vorzubereiten, das der Grund für ihre Rast am schwarzen Tümpel war.
    Sie warf John einen raschen Blick zu. »Vielleicht verschieben wir unser Gespräch lieber auf morgen, was meinst du?«
    »Nein.« Der Engländer musterte Birwain mit schmalen Augen. »Die Nacht steht bevor, und ich traue Dayindi zu, dass er seine Drohung so schnell wie möglich wahr machen will.«
    »Dayindi?« Endlich war Birwains Interesse geweckt. »Was ist mit ihm? Wen hat er bedroht?«
    »Emma«, sagte John knapp.
    »Er hat dich bedroht?« Birwain starrte Emma fassungslos an.
    Emma wand sich unter seinem Blick. Zwar war sie erleichtert, dass sie doch noch Birwains Aufmerksamkeit erlangt hatte; doch gleichzeitig fürchtete sie, Dayindi erneut Unrecht zu tun. Was, wenn er seine Worte im Zorn gesagt, aber gar nicht ernst gemeint hatte?
    »Na ja, er hat mich nicht direkt bedroht. Es ging um Carl, und er meinte …«
    Sie brach ab, unsicher, wie viel sie Birwain erzählen durfte, ohne dass sie es sich mit ihm verscherzte. Auch wenn der Schamane stets auf ihrer Seite gewesen war und Dayindi durchaus kritisch gegenüberzustehen schien, durfte sie doch nicht vergessen, dass die beiden Männer zum selben Clan gehörten – und sie selbst nur eine Weiße war. Sie wurde hier geduldet, aber sie war nichtsdestoweniger eine Frau, die aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft und Kultur immer eine Fremde bleiben würde.
    Plötzlich fühlte sie sich sehr einsam.
    »Ich werde es dir erzählen, Birwain«, sagte John grimmig. »Danach wirst du unsere Sorge besser verstehen.«

21
    E r begriff es nicht.
    Er begriff einfach nicht, wie es so weit hatte kommen können, und außerdem wusste er nicht, ob er Emma und John trauen konnte.
    Er hatte Emma als Freundin betrachtet, solange Carl da gewesen war und noch viele Wochen danach. Bis John sie umgarnt und wieder zu dem gemacht hatte, was sie in der Tiefe ihres Herzens vielleicht immer

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