Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
hickste wieder –, »und dann hatse mich geküsst, nach zwei Jahren, und wir waren wieder zusammen. Ohne ein Wort. Scheiße, war das schön. Die schönste Frau, die ich je gesehen hab. Schönster Moment in meinem ganzen beschissnen … beschissenen Leben, wahrscheinlich. ’tschuldigung, Robin«, fügte er hinzu, »wegen dem beschissnen ›beschissen‹ die ganze Zeit. Tut mir leid.«
Robin wollte gleichzeitig lachen und in Tränen ausbrechen. Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum sie so traurig war.
»Soll ich Ihnen die Zigarette anzünden?«
»Siesin ’ne nette Person, Robin. Wissense das?«
Strike, der immer noch schwankte wie ein Schiff auf hoher See, blieb mitten auf der Denmark Street urplötzlich stehen, um ihr mitzuteilen, dass Charlotte Jago Ross nicht liebe, dass das Ganze nur ein Spiel sei, um ihn, Strike, so tief wie nur irgend möglich zu verletzen.
Kurz vor der schwarzen Eingangstür blieb er erneut stehen und hob beide Hände, um Robin daran zu hindern, ihm zu folgen.
»Gehnse heim, Robin.«
»Ich will nur sichergehen, dass Sie’s wohlbehalten nach oben schaffen.«
»Nein, nein, ich komm schon klar. Vielleicht muss ich gleich kotzen. Bin verdammt wacklig auf’m Bein. Schade«, sagte Strike, »dass Sie den beschissenen Witz nicht kapieren. Oder doch? Sie kennen ja jetzt die Geschichte, mehr oder weniger. Oder nich?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Egal, Robin. Gehnse heim. Mir is schlecht.«
»Können Sie wirklich …«
»’tschuldigung fürs Fluchen. Siesin ’ne nette Person, Robin. Wiedersehn.«
Als sie die Charing Cross Road erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. Er stolperte mit der bemitleidenswerten, unbeholfenen Bedächtigkeit der Volltrunkenen auf den schmalen Durchgang zum Denmark Place zu, um sich aller Wahrscheinlichkeit nach in der dunklen Gasse zu übergeben, bevor er die Treppe zu seiner Campingliege und dem Wasserkocher hinaufstieg.
6
Der Übergang zwischen Schlafen und Wachen war fließend. Zunächst sah er sich hingestreckt inmitten einer Traumlandschaft aus verbogenem Metall, Trümmern und Geschrei, blutüberströmt und unfähig zu sprechen; dann lag er auf dem Bauch, schweißgebadet, das Gesicht in die Liege gedrückt; sein Kopf war ein pulsierender Ball aus Schmerz, sein geöffneter Mund trocken und ranzig. Die Jalousie stand offen, und die Sonne schien durchs Fenster und versengte trotz der geschlossenen Lider seine Netzhäute. Vor einem fleischroten Hintergrund breiteten sich kleine Äderchen wie ein feines schwarzes Netz über winzigen, spöttisch aufblitzenden Lichtern aus.
Er trug immer noch die Kleidung vom Vortag und die Prothese, und er lag auf seinem Schlafsack, als wäre er umgefallen und zufällig darauf gelandet. Wie Glasscherben bohrten sich die Erinnerungen in seine Schläfe: wie er versucht hatte, den Barkeeper davon zu überzeugen, dass ein weiteres Pint gar keine so schlechte Idee wäre. Wie Robin ihn über den Tisch hinweg angelächelt hatte. Hatte er in diesem Zustand tatsächlich noch ein Kebab gegessen? Ihm fiel wieder ein, dass er irgendwann dringend hatte Wasser lassen müssen, mit dem Reißverschluss seiner Hose gekämpft hatte und nicht in der Lage gewesen war, den Hemdzipfel zu lösen, der sich darin verfangen hatte. Er schob die Hand unter sich – selbst diese einfache Bewegung ließ ihn aufstöhnen und verursachte ihm Brechreiz – und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass der Reißverschluss nicht offen stand.
So langsam wie ein Mann, der eine zerbrechliche Last auf den Schultern balancierte, setzte er sich auf und sah sich mit zusammengekniffenen Augen in dem unerträglich hellen Raum um. Er wusste weder, wie spät noch welcher Tag es war.
Die Tür zum Vorzimmer war geschlossen. Von der anderen Seite war nichts zu hören. Vielleicht hatte seine Aushilfssekretärin ja endgültig das Handtuch geworfen. Dann sah er ein weißes Rechteck auf dem Boden. Behutsam ging Strike auf alle viere und hob den Zettel auf. Eine Nachricht von Robin, die sie unter der Tür hindurchgeschoben hatte.
Lieber Cormoran! (Jetzt gab es wohl kein Zurück mehr zu »Mr. Strike«.) Ich habe mir die Liste der noch zu erledigenden Aufgaben am Anfang der Akte angesehen. Ich kümmere mich um die ersten beiden Punkte (Agyeman und Malmaison Hotel). Falls ich stattdessen ins Büro kommen soll, rufen Sie mich einfach auf dem Handy an.
Ich habe im Vorzimmer den Wecker auf 14 Uhr gestellt, damit Sie noch genug Zeit haben, um
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