Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
seine Betrunkenheit eingeübt hatte, fand sie sein Verhalten jetzt geschmacklos frei von Scham- oder Reuegefühlen.
Strike machte sich an dem Wasserkocher zu schaffen und stellte ihr einige Minuten später einen dampfenden Becher Tee hin.
»Ich hab doch gesagt, dass ich …«
»Könnten Sie sich einen Augenblick von diesem wichtigen Schriftstück losreißen, während ich etwas sage?«
Sie speicherte den Bericht per Tastenbefehl ab, dann wandte sie sich ihm mit verschränkten Armen zu. Strike setzte sich auf das alte Sofa.
»Ich wollte sagen, dass mir das mit vorgestern Abend leidtut.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, wehrte sie mit gepresster, nervöser Stimme ab.
»Doch, das muss ich. Ich kann mich nicht mehr an viel erinnern. Ich hoffe, dass ich nicht allzu widerlich war.«
»Das waren Sie nicht.«
»Was passiert war, haben Sie vermutlich mitbekommen. Meine Exverlobte hat sich gerade mit einem alten Freund verlobt. Nach unserer Trennung hat sie nur drei Wochen gebraucht, um einen anderen Ring an den Finger zu bekommen. Das ist übrigens nur so dahergesagt; ich hab ihr nie einen Ring gekauft; ich hatte nie das Geld dafür.«
Es hatte also keine Versöhnung gegeben, schloss Robin; aber wo hatte er dann die Nacht verbracht? Sie ließ die Arme sinken und griff geistesabwesend nach ihrem Tee.
»Es war nicht Ihre Aufgabe, mich dort aufzuspüren, aber Sie haben mich vermutlich daran gehindert, in der Gosse zu landen oder mich mit irgendjemandem zu prügeln, und dafür danke ich Ihnen sehr.«
»Kein Problem.«
»Und danke für das Alka-Seltzer.«
»Hat es geholfen?«, fragte Robin steif.
»Ich hätte das hier beinahe vollgespuckt«, sagte Strike und versetzte dem durchgesessenen Sofa einen leichten Faustschlag, »aber als die Wirkung einsetzte, hat es gut geholfen.«
Robin lachte leise, und Strike erinnerte sich wieder an die Mitteilung, die sie unter der Tür durchgeschoben hatte, während er schlief – und an die Ausrede, die sie für ihre taktvolle Abwesenheit erfunden hatte.
»Also gut, nun, ich will hören, wie es Ihnen gestern ergangen ist«, log er. »Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter!«
Robin blühte auf wie eine Seerose.
»Ich bin eben dabei, alles aufzuschreiben …«
»Erstatten Sie mir einfach mündlich Bericht; Ihre Ausarbeitung können Sie später zu den Akten legen«, sagte Strike mit dem geheimen Vorbehalt, dass sie sich leicht wieder entfernen ließe, falls sie wertlos wäre.
»In Ordnung«, sagte Robin aufgeregt und nervös zugleich. »Also, wie ich in meiner Nachricht geschrieben habe, wollte ich mich mit Professor Agyeman und dem Malmaison Hotel in Oxford befassen.«
Strike nickte; er war für diesen Hinweis dankbar, denn er hatte sich an keine Einzelheiten der Nachricht erinnern können, die er so schaurig verkatert überflogen hatte.
»Also«, sagte Robin leicht atemlos, »war ich als Erstes bei der SOAS , der School of Oriental and African Studies, am Russell Square. Das haben Ihre Notizen doch bedeutet, nicht wahr?«, fügte sie hinzu. »Ich habe auf einem Stadtplan nachgesehen – von dort aus ist das British Museum zu Fuß erreichbar. Das sollte das Gekritzel doch heißen?«
Strike nickte wieder.
»Nun, ich bin hingegangen, habe behauptet, ich schriebe eine Doktorarbeit über afrikanische Politik und benötige Informationen über Professor Agyeman. So bin ich bei einer sehr hilfsbereiten Sekretärin im Fachbereich Politikwissenschaft gelandet, die selbst für ihn gearbeitet hatte. Sie hat mir eine Unmenge an Informationen über ihn gegeben, darunter eine Bibliografie und eine Kurzbiografie. Er selbst hatte dort seinen Bachelor gemacht.«
»Tatsächlich?«
»Ja«, sagte Robin. »Und ich habe ein Foto.«
Sie zog eine Fotokopie aus der Innenklappe des Notizbuchs und reichte sie Strike.
Er erblickte einen gut aussehenden Schwarzen mit schmalem Gesicht, hohen Wangenknochen, grauem Bürstenhaarschnitt und einer goldgeränderten Brille, deren Bügel auf übergroßen Ohren ruhten. Er starrte ihn sekundenlang an, und als er endlich sprach, sagte er: »Jesus.«
Robin wartete hochgestimmt.
» Jesus «, wiederholte Strike. »Wann ist er gestorben?«
»Vor fünf Jahren. Die Sekretärin war immer noch ganz traurig. Sie sagte, er sei wahnsinnig klug und der netteste, freundlichste Mann überhaupt gewesen. Ein engagierter Christ.«
»Hatte er Familie?«
»Ja. Er hat seine Frau und einen Sohn hinterlassen.«
»Einen Sohn«, wiederholte
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