Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
wusste, dass Cormoran Strike nicht war, wo er sein sollte. Sollte sie ihn vielleicht auf dem Handy anrufen? Und wenn er sich nicht meldete? Wie viele Stunden sollte sie warten, bevor sie die Polizei alarmierte? Sie überlegte, ob sie Matthew im Büro anrufen und seinen Rat einholen sollte, kam aber sofort wieder davon ab.
Matthew und sie hatten sich gestritten, als Robin so spät heimgekommen war, nachdem sie den betrunkenen Strike aus dem Tottenham heimbegleitet hatte. Matthew hatte ihr wieder einmal erklärt, sie sei naiv, leicht zu beeindrucken und ein Dummerchen, das auf Geschichten von Pechsträhnen hereinfalle; Strike habe es nur auf eine billige Sekretärin abgesehen und bediene sich zu diesem Zweck emotionaler Erpressung; vermutlich gebe es gar keine Charlotte, sondern das alles sei nur ein geschicktes Manöver, um sich Robins Mitgefühl und Dienste zu sichern. Robin war wütend geworden und hatte Matthew erklärt, wenn irgendjemand sie erpresse, dann sei das doch wohl er mit seinem ständigen Gerede von dem Geld, das sie verdienen müsse, und seinen Andeutungen, dass sie weniger als ihren Beitrag leiste. War ihm nicht aufgefallen, dass sie gern bei Strike arbeitete; war sein unsensibler, beschränkter Buchhalterverstand nie auf die Idee gekommen, ihr könnte vor einem sterbenslangweiligen Job in einer Personalabteilung grausen? Matthew war entgeistert gewesen und hatte sich dann entschuldigt (obwohl er sich vorbehielt, Strikes Verhalten zu missbilligen), aber Robin, im Allgemeinen nachgiebig und freundlich, war kalt und zornig geblieben. Der am folgenden Morgen geschlossene Waffenstillstand war mit Feindseligkeiten gespickt gewesen, speziell auf Robins Seite.
Als sie jetzt das Telefon anstarrte, übertrug ein Teil ihres Zorns auf Matthew sich auf Strike. Wo in aller Welt steckte er? Was tat er? Wieso benahm er sich genauso unzuverlässig, wie Matthew ihm zu sein vorwarf? Sie war da, hielt hier die Stellung, während er vermutlich hinter seiner Exverlobten her war, ohne sich um ihren Auftrag zu kümmern …
… seinen Auftrag …
Plötzlich ein Geräusch im Treppenhaus. Robin glaubte, Strikes leicht unrunde Schritte zu hören. Sie blickte zur Tür hinüber und wartete, bis sie sicher war, dass die Schritte den ersten Treppenabsatz hinter sich gelassen hatten. Dann drehte sie sich entschlossen nach dem Monitor um und begann wieder zu tippen, während ihr Herz jagte.
»Morgen.«
»Hi.«
Sie bedachte Strike mit einem flüchtigen Blick, während sie eifrig weitertippte. Er sah müde aus, war unrasiert und ungewohnt gut angezogen. Das bestätigte sie sofort in ihrer Überzeugung, dass er versucht hatte, sich mit Charlotte zu versöhnen – allem Anschein nach erfolgreich. Die beiden folgenden Sätze strotzten nur so von Tippfehlern.
»Wie läuft’s?«, fragte Strike, dem ihr verkniffenes Gesicht und ihre unterkühlt abweisende Art auffielen.
»Gut.«
Sie hatte jetzt vor, ihm ihren perfekt getippten Bericht hinzulegen und dann eiskalt und ruhig ein Gespräch über ihr bevorstehendes Ausscheiden zu eröffnen. Sie wollte Strike vorschlagen, eine neue Aushilfe einzustellen, damit sie ihre Nachfolgerin einarbeiten konnte, bevor sie ging.
Strike, dessen scheußliche Pechsträhne erst vor wenigen Stunden auf fabelhafte Art beendet worden war und der in besserer Stimmung war als seit vielen Monaten, hatte sich darauf gefreut, seine Sekretärin zu sehen. Er hatte nicht die Absicht, sie mit einem Bericht über seine nächtlichen Eskapaden zu unterhalten (oder zumindest nicht über die, die so viel dazu beigetragen hatten, ihm seine Selbstachtung zurückzugeben), denn er war in derlei Dingen intuitiv schweigsam und hoffte, die durch seinen übermäßigen Konsum von Doom Bar niedergerissenen Grenzen wenigstens in Teilen wiederherstellen zu können. Vorgenommen hatte er sich eine ausführliche Entschuldigung für seinen Alkoholexzess, eine Beteuerung seiner Dankbarkeit und eine Zusammenfassung der interessanten Schlussfolgerungen, die er aus den gestrigen Gesprächen gezogen hatte.
»Möchten Sie eine Tasse Tee?«
»Nein danke.«
Er sah auf die Uhr.
»Ich bin nur elf Minuten zu spät …«
»Wann Sie auftauchen, ist Ihre Sache. Ich meine«, versuchte sie zurückzurudern, denn ihr Tonfall war zu offen feindselig gewesen, »es geht mich nichts an, was Sie … wann Sie ins Büro kommen.«
Nachdem sie zuvor im Stillen verschiedene beruhigende und großzügige Antworten auf Strikes mögliche Entschuldigungen für
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