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Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Galbraith
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obersten Schublade.«
    »In Ordnung«, sagte sie, sah dabei aber weder ihn noch die Schublade an.
    »Wenn Sie auch etwas essen wollen, dann gehen Sie ruhig. Irgendwo im Schreibtisch müsste noch ein Ersatzschlüssel liegen.«
    »Alles klar.«
    »Dann bis später.«
    Hinter der Glastür blieb er kurz stehen und zauderte, ob er die winzige, klamme Toilette aufsuchen sollte. Der Druck auf seine Gedärme wurde langsam schmerzhaft. Andererseits fand er, dass sie sich durch ihre Effizienz und ihre selbstlose Sorge um seine Sicherheit ein wenig Rücksicht verdient hatte. Strike beschloss zu warten, bis er den Pub erreicht hatte, und ging die Treppe hinunter.
    Auf der Straße zündete er sich eine Zigarette an und lief linker Hand am geschlossenen 12 Bar Café vorbei die schmale Gasse hinauf. Er passierte ein mit in allen Farben leuchtenden Gitarren vollgestelltes Schaufenster und mit flatternden, halb abgerissenen Flyern beklebte Wände – nur weg von dem unaufhörlichen Rattern des Presslufthammers. Er umrundete den Bauschutt und die Asphalttrümmer vor dem Centre Point und marschierte an der überdimensionalen Goldstatue von Freddie Mercury vorbei, die mit gesenktem Kopf und erhobener Faust wie ein heidnischer Gott des Chaos über den Eingang des Dominion Theatre auf der anderen Straßenseite wachte.
    Hinter den Schuttbergen der Baustelle war die verschnörkelte Fassade des Tottenham zu erkennen. Strike, erfreut über die beträchtliche Summe Bargeld in seiner Tasche, drückte die Tür auf und fand sich in einer beschaulichen viktorianischen Szenerie aus blank polierten dunklen Holzschnitzereien und Messingornamenten wieder. Die niedrigen Trennscheiben aus Milchglas, die bejahrten Lederbänke, der Goldrahmen um den Spiegel über dem Tresen, die Putten und Füllhörner erinnerten an eine frohgemute und geordnete Welt, die in befriedigendem Kontrast zu der lärmenden Baustelle stand. Strike bestellte ein Pint Doom Bar und nahm es mit in das Hinterzimmer des nur spärlich besuchten Pubs. Dort stellte er sein Glas auf einen hohen runden Tisch unter einer hellen Glaskuppel in der Decke, bevor er sich schnurstracks auf die Herrentoilette begab, in der es durchdringend nach Pisse stank.
    Zehn Minuten später und beträchtlich erleichtert hatte Strike ein Drittel des Pints geleert, was seine betäubende Erschöpfung noch verstärkte. Das Bier aus Cornwall schmeckte nach Heimat, Frieden und längst verlorener Geborgenheit. Direkt vor ihm hing ein großes, fleckiges Ölbild, das ein tanzendes viktorianisches Fräulein mit Rosen in den Händen darstellte. Mit verschämter Fröhlichkeit beobachtete sie ihn durch einen Blütenregen; weißer Stoff verdeckte ihre gewaltigen Brüste. Mit einer echten Frau hatte sie in seinen Augen ebenso wenig Ähnlichkeit wie der Tisch, auf dem sein Pint stand, oder der fettleibige Mann mit Pferdeschwanz, der hinter dem Tresen das Bier zapfte.
    Strikes Gedanken wanderten zu Charlotte, die wiederum sehr echt war; wunderschön, so gefährlich wie eine in die Enge getriebene Füchsin, schlau, manchmal witzig und, um es mit den Worten von Strikes ältestem Freund auszudrücken, »verdorben bis ins Mark«. War es diesmal wirklich, wirklich vorbei? Aus dem Kokon seiner Müdigkeit heraus ließ Strike die Szenen der letzten Nacht und des heutigen Morgens noch einmal Revue passieren. Was sie diesmal getan hatte, war unverzeihlich. Sobald die Betäubung nachließ, würde der Schmerz zweifellos unerträglich sein. In der Zwischenzeit musste er sich allerdings um die naheliegenden Dinge kümmern. Nicht zuletzt hatte er sich durch die Trennung eigenhändig aus Charlottes eleganter, kostspieliger Maisonettewohnung in der Holland Park Avenue befördert – was bedeutete, dass er seit gestern Nacht um zwei Uhr aus freien Stücken obdachlos war.
    (»Bluey, zieh doch einfach bei mir ein. Herrgott noch mal, das ist doch nur vernünftig. So kannst du Geld sparen, während du dein Geschäft aufziehst, und ich kann mich um dich kümmern. Du solltest nicht allein sein, solange du noch nicht auf dem Damm bist. Jetzt stell dich nicht so an, Bluey …« Niemand würde ihn mehr Bluey nennen. Bluey war tot.)
    Zum ersten Mal in ihrer langen und turbulenten Beziehungsgeschichte hatte er sie verlassen. Die vorigen drei Mal war es Charlotte gewesen, die das Ganze beendet hatte. Eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen ihnen hatte gelautet, dass es erst dann wirklich vorbei war, wenn er ging; wenn er entschied, dass er genug

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