Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
sagte Strike etwas lauter, worauf der Kahle sich interessiert umsah. »Hier ist meine Karte. Lula Landrys Bruder hat mich engagiert, und ich muss mit …«
»Oh, Sie suchen Rochelle?«, fragte der Mann und trat ans Gitter. »Die ist nicht mehr hier, Kumpel. Sie ist ausgezogen.«
Seine Kollegin, die sich sichtlich darüber ärgerte, dass er so bereitwillig mit Strike sprach, räumte ihren Platz und verschwand.
»Wann war das?«
»Vor ein paar Wochen, würde ich sagen. Vielleicht sogar ein paar Monaten.«
»Irgendeine Ahnung, wo sie sein könnte?«
»Keine Ahnung, Kumpel. Wahrscheinlich wieder auf der Straße. Sie war schon mehrmals bei uns. Eine schwierige Person, psychische Probleme. Aber Carrianne könnte was wissen. Augenblick. Carrianne! Hey! Carrianne!«
Die bleiche junge Frau mit der verschorften Lippe kam mit zusammengekniffenen Augen aus der Sonne herein.
»Was’n?«
»Hast du in letzter Zeit Rochelle gesehen?«
»Wieso sollt ich die Scheißschlampe seh’n woll’n?«
»Du hast sie also nicht gesehen?«, fragte der Glatzkopf.
»Nee. Kann ich ’ne Kippe haben?«
Strike gab ihr eine Zigarette, die sie sich hinters Ohr klemmte.
»Sie muss noch irgendwo in der Nähe sein. Janine meinte, dass sie sie geseh’n hat«, sagte Carrianne. »Rochelle wollt ’ne Wohnung oder so was haben. Verdammtes Lügenschwein. Und Lula Landry hat ihr – ha – nix hinterlass’n. Was woll’n Sie von ihr?«, fragte sie Strike, dem klar war, dass sie sich gerade fragte, ob Geld im Spiel war – und ob sie würde einspringen können.
»Ich will ihr nur ein paar Fragen stellen.«
»Worüber?«
»Lula Landry.«
»Oh.« Carriannes berechnender Blick flackerte. »Als wär’n die beiden ach so gute Kumpel! Glauben Sie lieber nich’ alles, was Rochelle sagt, diese verlogene Schlampe.«
»In welcher Hinsicht hat sie gelogen?«, fragte Strike.
»Scheiße, in jeder! Ich wette, dass die Hälfte aller Sachen, die Landry ihr angeblich gekauft hat, geklaut war.«
»Schon gut, Carrianne«, sagte der Glatzkopf sanft. »Sie waren Freundinnen«, erklärte er Strike. »Landry ist oft mit dem Auto vorbeigekommen und hat sie abgeholt. Das hat« – sein Blick streifte kurz Carrianne – »gewisse Spannungen erzeugt.«
»Scheiße, nich’ bei mir, echt nich’!«, fauchte Carrianne. »Für mich war Landry immer ’ne hochgekommene Schlampe. Sie hat gar nich’ sooo doll ausgeseh’n.«
»Rochelle hat mir erzählt, dass sie eine Tante in Kilburn hat«, sagte der Kahlkopf.
»Aber mit der verträgt sie sich nich’«, warf die junge Frau ein.
»Kennen Sie den Namen oder die Adresse der Tante?«, fragte Strike, aber beide schüttelten den Kopf. »Wie heißt Rochelle eigentlich mit Nachnamen?«
»Keine Ahnung; du, Carrianne? Wir kennen unsere Leute oft nur mit Vornamen«, erklärte er Strike.
Viel mehr war aus den beiden nicht herauszuholen. Rochelle hatte zuletzt vor mehr als zwei Monaten in dem Heim gewohnt. Der Glatzkopf erinnerte sich daran, dass sie eine Zeit lang eine Tagesklinik im St. Thomas’ Hospital besucht hatte, wusste aber nicht, ob sie dort noch hinging.
»Sie hatte psychotische Phasen. Sie muss einen Haufen Medikamente nehmen.«
»Ihr war’s scheißegal, als Lula gestorben is’«, sagte Carrianne plötzlich. »Das is’ ihr am Arsch vorbeigegang’n.«
Beide Männer sahen sie an. Sie zuckte mit den Schultern, als hätte sie nur eine unangenehme Wahrheit ausgesprochen.
»Hören Sie, geben Sie Rochelle meine Nummer und bitten Sie sie, mich anzurufen, falls sie wieder hier aufkreuzt?«
Strike gab beiden seine Karte; sie nahmen sie interessiert in Augenschein und merkten nicht, wie er mit geschickten Fingern die News of the World der Frau, die Kaugummi gekaut hatte, durch die schmale Öffnung unter dem Gitter zog und sie sich unter den Arm klemmte. Dann verabschiedete er sich gut gelaunt von den beiden und ging.
Es war ein warmer Frühlingsnachmittag. Strike schlenderte zur Hammersmith Bridge hinunter, deren blasser salbeigrüner Anstrich mit den üppigen Goldverzierungen im Sonnenschein malerisch leuchtete. Am jenseitigen Themseufer tanzte ein einzelner Schwan auf den Wellen. Die Büros und Geschäfte schienen hundert Meilen entfernt zu sein. Er wandte sich nach rechts und folgte dem Gehweg zwischen der Kaimauer und einer Zeile aus Reihenhäusern, manche mit Balkonen, viele mit Glyzinien bewachsen.
Strike holte sich im Blue Anchor ein Bier und setzte sich draußen vor der Fassade in Königsblau und Weiß
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