Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
erstes Vermögen von seinem Vater geerbt, der als Spediteur Geld gescheffelt hatte; sein zweites hatte er mit Filmen verdient, die zwar die Massen in die Kinos zogen, über die ernsthafte Kritiker jedoch nur spotteten. Gegenwärtig klagte der Produzent gegen zwei Zeitungen, die behauptet hatten, er habe eine junge Angestellte sexuell belästigt und sich anschließend ihr Schweigen erkauft. Zu den mit Wörtern wie »angeblich« und »mutmaßlich« vorsichtig formulierten Vorwürfen gehörten aggressive sexuelle Belästigung und sogar körperliche Bedrohungen. Sie stammten von einer »dem angeblichen Opfer nahestehenden Person«, während die junge Frau selbst sich geweigert hatte, Anzeige zu erstatten oder Interviews zu geben. Die Tatsache, dass Freddie sich im Augenblick von seiner derzeitigen Frau Tansy scheiden ließ, wurde im letzten Absatz erwähnt, der zum Schluss daran erinnerte, dass das unglückliche Paar in der Nacht, als Lula Landry sich das Leben genommen hatte, in dem Gebäude zugegen gewesen war. Beim Leser blieb der merkwürdige Eindruck zurück, der Ehestreit der Bestiguis könnte Landry bei ihrem Entschluss zu springen beeinflusst haben.
Strike war nie in Kreisen verkehrt, die im Cipriani speisten. Erst als er die Davies Street entlangging, wobei die Sonne ihm den Rücken wärmte und dem Klinkerbau vor ihm einen rötlichen Schimmer verlieh, überlegte er sich, wie unangenehm, aber nicht unwahrscheinlich es wäre, dort einem seiner Halbgeschwister zu begegnen. Restaurants wie das Cipriani gehörten zum Alltag der ehelichen Kinder seines Vaters. Von dreien hatte er zuletzt gehört, als er zur Reha im Selly Oak Hospital lag. Gabi und Danni hatten Blumen geschickt; Al hatte ihn einmal besucht, zu laut gelacht und sich nicht getraut, das Fußende des Krankenbetts anzusehen. Anschließend hatte Charlotte imitiert, wie Al gewiehert und sich gewunden hatte. Sie war eine gute Parodistin. Von einer so schönen Frau erwartete man nicht, dass sie lustig war; aber sie war es.
Das Innere des Restaurants war im Art-déco-Stil gehalten; mit Bar und Stühlen in sanft poliertem Holz, blassgelben Deckchen auf runden Tischen und Servicepersonal in weißen Jacketts mit Fliege. Strike entdeckte inmitten der mit Besteck klappernden, schwatzenden Gäste seinen Klienten auf den ersten Blick: Er saß an einem Vierertisch und sprach zu Strikes Überraschung nicht mit einer, sondern gleich mit zwei Frauen, beide mit langen, glänzend braunen Haaren. Aus Bristows Karnickelgesicht sprach die Begierde zu gefallen, vielleicht auch zu beschwichtigen.
Der Anwalt sprang auf, um Strike zu begrüßen, und machte ihn mit Tansy Bestigui, die ihm eine schmale, kühle Hand hinstreckte, ein Lächeln jedoch verweigerte, und mit ihrer Schwester Ursula May bekannt, die ihm nicht einmal die Hand gab. Während die Vorbereitungen – Getränke bestellen und Speisekarten herumreichen – absolviert wurden, wobei Bristow nervös und übermäßig redselig war, musterten die Schwestern Strike mit unverhohlen kritischen Blicken von der Art, die nur Angehörige einer gewissen Klasse für ihr Vorrecht halten.
Beide waren blank poliert und perfekt wie eben erst von ihrer Zellophanhülle befreite lebensgroße Puppen; in der Art reicher Frauen überschlank, in ihren engen Jeans fast hüftenlos, mit gebräunten Gesichtern, deren wächserner Glanz sich vor allem auf den Stirnen zeigte; ihre langen, glänzend dunklen Mähnen mit Mittelscheitel an den Spitzen wie mit der Wasserwaage präzise geschnitten.
Als Strike sich endlich dazu bewegen konnte, von der Speisekarte aufzusehen, fragte Tansy ohne Vorrede: »Sind Sie wirklich (sie sagte wieklich ) Jonny Rokebys Sohn?«
»Jedenfalls laut Vaterschaftstest«, antwortete er.
Sie schien unsicher zu sein, ob er witzig oder unhöflich war. Ihre dunklen Augen standen etwas zu nahe zusammen, und weder das Botox noch das Collagen konnten die Gereiztheit ihres Gesichtsausdrucks glätten.
»Hören Sie, ich habe eben mit John darüber gesprochen«, sagte sie knapp. »Ich will mich nicht wieder öffentlich äußern, wissen Sie? Ich bin gern bereit, Ihnen zu erzählen, was ich gehört habe, weil es mir lieb wäre, wenn Sie beweisen könnten, dass ich die Wahrheit gesagt habe; aber Sie dürfen niemandem erzählen, dass Sie mit mir gesprochen haben.«
Ihre weit aufgeknöpfte dünne Seidenbluse ließ viel karamellbraune Haut sehen, die sich über ihr knochiges Brustbein spannte, sodass ein unattraktiv höckeriger Effekt
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