Der Ruf des Satyrs
Standpauke. »Du hör mal zu! Sei nich’ so blöd wie Fantine! Dieser Satyrkerl gibt dir seinen Samen – vielleicht auch noch seine Bastarde. Aber seine Erben, die kriegt ’ne Menschenfrau. Seine Ehefrau. Der macht, was der Rat ihm sagt. Denk dran!«
»Habe ich um seine Kinder gebeten? Oder um seinen Ring?«
»Du weißt, was mit dir passiert, wenn der Mond voll is’. Und dann haste sein Balg im Leib und wolltest es gar nich’. Diese reichen und mächtigen Satyrkerle! Haben sich für was Besseres gehalten als deine Mutter. Haben ihr ihren Samen reingedrückt und ihr für ihr Herz nix außer Plunder gegeben. Und dann was? Hamse uns alle sitzenlassen!«
»Das war
Maman,
nicht ich!«, hielt Eva dagegen. »Ist es denn so falsch von mir, dass ich nicht den Verstand verlieren will? Letzte Vollmondnacht, da habe ich …« Ihr versagte die Stimme, und sie presste eine Faust auf ihre Brust. »Ich kann das einfach nicht mehr, Odette. Nicht allein. Ich brauche ihn.«
»Nee! Du kriegst ’nen menschlichen Ehemann …«
»Der nicht weiß, was er in diesen Nächten mit mir anfangen soll!«, beendete Eva den Satz, in dem verzweifelten Versuch, dieser Frau, die sie mit aufgezogen hatte, die Dinge begreiflich zu machen. »Ich muss ihn mit einem Zauber belegen und geheim halten, was ich bin. Du weißt, was der Mond mit mir macht. Kannst du mir wirklich vorwerfen, dass ich ein Liebesverhältnis mit einem Mann meiner Art will – nur für
eine
Nacht im Monat?«
Mit bestürztem Blick sah Odette Eva in die Augen. Nach einem langen Augenblick gab sie widerwillig auf. »Dann machste also weiter mit dem Herrn Satyr? Egal, was ich sag, du lässt den in dein Bett?«
»Ich weiß nicht. Er hat nicht danach gefragt.« Eva stieß ein klägliches Lachen aus. »Aber vielleicht frage ich ihn. Du sagtest, die Pulver verhindern eine Schwangerschaft, auch bei Vollmond, wenn sein Samen fruchtbar ist.«
»Aber trotzdem verliebste dich nich’ in den, he?«
»Nein, ich werde mich nicht in ihn verlieben.« Eva rieb sich mit einer Hand über die Stirn, sie war plötzlich müde. Die Geschichten, die ihre Mutter und Odette ihr über diese Welt erzählt hatten, und darüber, wie der Verstand von Männern ihrer Meinung nach funktionierte, hatte sie praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Ebenso wie deren Vorstellungen, wie man sich einen menschlichen Ehemann angelt und dann kontrolliert. Immer hatte dieser Druck auf Eva gelastet, ihren Wünschen zu folgen und einen Weg zu finden, in der Gesellschaft der Menschen aufzusteigen, die Fantine vor zwanzig Jahren verachtet hatten, weil sie ihnen nicht hochgeboren genug war. Manchmal kam ihr der Gedanke, an einer Gesellschaft Rache zu üben, die ihr selbst nie etwas getan hatte, so sinnlos vor.
»Auf jeden Fall
werde
ich ihn wiedersehen«, beharrte Eva. »Wir pflegen eine geschäftliche Beziehung. Ich muss die Arbeit erledigen, für die er mich bezahlt. Und ich werde ihn nicht glauben lassen, er habe mich verletzt.« Sie hob das Kinn höher. »Er hat mich
nicht
verletzt.«
»Is’ ja gut,
bebe!
Is’ ja gut«, meinte Odette beschwichtigend.
»Und jetzt gehe ich und helfe den Mädchen bei ihrem Unterricht.«
Odette sah ihr nach. Sie war noch immer besorgt. Natürlich würde Eva nicht so dumm sein, sich zu verlieben wie ihre Mutter. Sie war stärker als Fantine. Aber solange ihre Eva nicht wohlbehalten mit einem Menschen verheiratet war, konnte man nie ganz sicher sein.
Am nächsten Morgen fand Dane seine Brüder im Schutz eines großen Zeltes aus weißem Segeltuch in den Ruinen des Forums, das von den sieben Hügeln Roms umgeben war. Bastian mühte sich wie üblich mit ein paar kostbaren Steinbrocken und Tonscherben ab, die auf einem langen Tisch ausgebreitet lagen. Dane nahm an, dass die Bruchstücke wertvoller waren, als sie aussahen, denn Bastian war für die Ausgrabungen verantwortlich und richtete seine Aufmerksamkeit nur auf die seltensten und vielversprechendsten Fundstücke. Sevin lümmelte auf einem Stuhl, die Füße auf eine umgedrehte Kiste gestützt. Hinter ihm standen Regale mit verschiedenen Werkzeugen, Urnen, Büsten, Fachbüchern und einer zusammengerollten Kopie von Giambattista Nollis Karte von Rom. Die Seiten des Zeltes waren aufgerollt bis auf eine, die die Strahlen der brennenden italienischen Sonne abhalten sollte.
Direkt davor schlenderten modisch gekleidete Damen über die Schotterpfade in den nicht abgesperrten Bereichen. Bewundernde Blicke wanderten immer wieder zum
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