Der Ruf des Satyrs
sich ihr tapfer gestellt, heute Nacht, und hatte die schreckliche Wahrheit über seine Vergangenheit und seine Gegenwart bekannt. Und er vertraute ihr genug, dass sie das, was sie erfahren hatte, hüten würde. Sie legte eine Hand auf ihre Brust und fühlte sich von dem schrecklichen Knoten beengt, den ihre eigenen, unausgesprochenen Geheimnisse dort bildeten, denn sie konnte nicht den Mut aufbringen, ebenso aufrichtig zu sein wie er.
»Morgen Nacht dann.« Er klopfte gegen die Wand der Kutsche, die daraufhin losfuhr.
Sie spähte durch den Vorhang am Fenster hinaus und hielt ihn mit ihrem Blick fest, bis seine Gestalt in der Nacht verschwand. »Ja«, flüsterte sie in die einsame Kutsche. »Morgen.«
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13
C armen! Komm herein,
cara!
Die Nacht ist ja grässlich mit all dem Regen.« Serafina Patrizzi schloss die Tür und umschlang in einer flüchtigen Umarmung die stattliche Taille ihrer langjährigen Freundin. »Du bist allein gekommen?«, fragte sie und ignorierte gleichzeitig das Mädchen, das ihre Freundin im Schlepptau hatte.
»Mein Alfredo weilt geschäftlich in Venedig«, antwortete Carmen.
»Auch gut. Unsere Männer sind schon vor einer Stunde in die Tiefen der Erde aufgebrochen, und dann wäre er jetzt allein hier zurückgeblieben. Es ist so schön, dich zu sehen! Das letzte Mal liegt schon viel zu lange zurück.«
»Daran ist die Cholera schuld. Diese Epidemie vertreibt all meine Verwandten aus Neapel und bringt sie direkt in meinen Haushalt hier in Rom. Meine Mutter, meine Großmutter, meine neun Vettern und Basen und so weiter und so fort. Bah!«
»Du liebe Güte! Wie wirst du mit so vielen fertig?«
»Es ist eine Prüfung«, erwiderte Carmen. »Ich sage dir, ich habe kaum Zeit für mich selbst! Ich weiß, ich sehe sicher etwas mitgenommen aus.«
»Kaum.«
Die beiden Frauen lächelten sich zu und freuten sich über ihren kleinen Scherz. Sie sahen beide für ihr Alter ungewöhnlich jugendlich aus. Aber sie arbeiteten auch äußerst sorgfältig daran, ihr gutes Aussehen zu bewahren.
»Und wer ist das?«, fragte Serafina, die nun schließlich geruhte, die junge Frau hinter Carmen zu bemerken. Sie nahm das Kinn des Mädchens zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte ihren Kopf nach links und rechts. »Sehr nett.«
Ein wenig misstrauisch wich das Mädchen zurück.
»Ihr Name ist Nella. Ich habe sie erst heute Nachmittag kennengelernt. Meine Kutsche hatte einen falschen Weg genommen und fand sich plötzlich auf dem Esquilin wieder.« Carmen hielt inne, während sie ihren Umhang ablegte und ein paar verirrte Regentropfen von ihren Röcken wischte. »Wie du sehen kannst, hat sie Sommersprossen auf den Wangen. Davon abgesehen ist sie ein entzückendes Mädchen.«
»Wie alt bist du?«, wollte Serafina wissen.
»Sechzehn, Signora.«
»Ein reizendes Alter!«, frohlockte Carmen. »Doch die arme Kleine ist unverheiratet und erlitt vor kurzem eine Totgeburt, kannst du dir das vorstellen? Sie hat darüber geklagt, dass ihre Brust schmerzt, weil sie so voll mit Muttermilch ist – und kein Kind, das sie nähren kann!«
Die beiden Frauen sahen auf die Brüste des Mädchens und tauschten einen vielsagenden Blick. Nella zog ihr schäbiges Schultertuch sittsam über ihr Mieder.
»Oh, du musst nicht schüchtern sein! Es sind nur wir Damen hier«, neckte Serafina sie.
»Ich habe ihr erklärt, dass die jungen Männer bei ihr Schlange stehen werden, um sie zu heiraten, wenn sie nur diese schrecklichen Flecken loswird. Und da ich wusste, dass unsere Kosmetik ihr dabei nützen kann, habe ich sie eingeladen«, fuhr Carmen fort. »Ich hoffe doch, es macht keine Umstände?«
»Aber nicht doch!«, antwortete Serafina. Sie lächelte dem Mädchen zu und tätschelte ihm eine von der Arbeit rauhe Hand. »Ich hatte selbst einmal Sommersprossen. Genau hier.« Sie legte eine Fingerspitze an ihre Nase. »Aber nachdem ich unsere Creme nur ein paar Tage genommen hatte, waren sie weg. Simsalabim!«
»Ich kann aber nichts bezahlen«, gestand das Mädchen, das sich angesichts Serafinas ungezwungener Art langsam entspannte.
»Das macht nichts. Komm hier entlang.« Serafina nahm sie am Arm und führte sie ins Haus. »Du kannst uns dafür bei unserer Arbeit helfen.«
»Ist das Carmen, die ich da höre?«, rief eine Stimme aus dem Flur, den sie gerade betraten.
Die beiden Frauen gingen durch eine Tür und trafen dort auf vier weitere Frauen in Serafinas geschmackvoll eingerichtetem Salon. Die Einrichtung im toskanischen
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