Der Ruf des Satyrs
zu, um in leise gemurmelten Worten einen Beruhigungszauber über sie zu sprechen.
Doch bis dahin hatten sich Danes Gedanken bereits nach innen gewandt. Völlig gefangen in seinem ganz persönlichen Alptraum, überließ er es seinem Bruder, sich um Eva zu kümmern. »Antworte mir!«, verlangte er von Dante. »Wer weiß davon, wenn nicht du?«
Daniel. Der Junge.
»Daniel?« Entsetzen kroch ihm wie eiskalte Finger über den Rücken. Es gab noch eine Persönlichkeit in ihm? »Ist er jetzt hier, bei uns?«
Er ist immer hier, er schläft nur. Das ist alles, was ich weiß.
»Gibt es sonst noch jemanden – außer uns beiden und ihm?«
Nein! Jetzt lass mich endlich kommen!
Sevins Hand legte sich auf seine Schulter und riss ihn in die Realität zurück. »Geht es dir gut?«
Dane sah zu Eva, die an Bastian gelehnt dastand. »Lass sie nicht gehen.« Er wandte den anderen den Rücken zu und legte Hand an sich selbst. Ein paar kräftige Bewegungen, und er kam zum Höhepunkt. Dante fluchte vor Erleichterung, und dann war er verschwunden. Müde lief Dane zu dem Stapel Leinentücher, die ordentlich gefaltet neben dem Waschbecken in der Ecke lagen, und säuberte sich.
»Und? Was hast du herausgefunden?«, fragte Sevin.
»Wer zur Hölle ist Daniel?«, stieß Bastian gleichzeitig hervor.
»Offenbar eine weitere Persönlichkeit«, antwortete Dane. Er ging zu Bastian, nahm ihm Eva ab und hielt sie an sich gedrückt, nun, da er sich wieder sicher fühlte.
»Was ist passiert?«, erkundigte sie sich leicht verwirrt.
»Du musst es ihr sagen«, forderte Bastian, »oder du lässt sie gehen.«
»Noch mehr Befehle?«, grollte Dane.
»Mir was sagen?«, fragte Eva und machte sich los. Sie wandte den Blick ab und machte eine flatternde Handbewegung in ihre Richtung, um dem Unbehagen Ausdruck zu verleihen, das sie nun, da es um ernste Dinge ging, angesichts ihrer Nacktheit befiel. »Und würdet ihr alle bitte …?« Dane beobachtete, wie sie ihr Korsett schloss und damit ihre Brüste verbarg. Es fühlte sich an wie eine Verleugnung dessen, was sie miteinander geteilt hatten. Seine Augen wurden schmal.
Sevin warf Bastian dessen Hosen zu und machte den Anfang, indem er einen Teil der Wahrheit enthüllte. »Meine Brüder und ich blieben als Waisen hier zurück, als unsere Eltern an der Krankheit starben. Kurz davor ging Dane verloren, im Alter von zwölf Jahren.«
»Verloren?«, echote sie. Dane wandte sich ab und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er wünschte, sie müsste das nicht hören.
»Er wurde entführt und ein Jahr später wiedergefunden«, nahm Bastian den Faden der Geschichte auf, während er in sein Hemd schlüpfte. »Wir hatten – haben – einen vierten Bruder, Lucien, der mit ihm verloren ging. Er wurde seither nicht mehr gesehen. Und Dane hat keine Erinnerung an dieses verlorene Jahr. Nun kennst du den Teil der Geschichte, den wir alle miteinander teilen, doch es liegt an ihm, dir alles Weitere zu erzählen.« Er nickte Dane zu.
Eva schloss gerade ihr Mieder, sie war fast fertig angekleidet. Und wenn sie dann komplett geschnürt und wieder seriös gekleidet war, würde sie ihn verlassen. Vielleicht für immer, wenn er ihr keine Erklärung lieferte. Wenn er nicht wenigstens versuchte, ihr die unglaubliche Wahrheit begreiflich zu machen.
»Dane, vorhin, mit wem hast du da gesprochen?«, wagte sie einen leisen Vorstoß. »Deine Aura veränderte sich von Silber zu Gold und wieder zurück. Das ist schon einmal geschehen. Als wärest du zwei verschiedene Menschen in einem Körper.«
»Das bin ich.« Sein knappes Bekenntnis schlug wie ein leiser Donner in den Raum ein, und dann flossen die Worte förmlich aus ihm heraus wie aus einer offenen Wunde. »In dem Jahr, da ich vermisst war, ist etwas mit mir passiert. Etwas Unaussprechliches. Die Erinnerungen daran sind eingeschlossen in den Gedächtnissen von … zwei … anderen Persönlichkeiten, die in mir verborgen sind. Manchmal kommen sie zum Vorschein und übernehmen die Kontrolle über das, was ich sage und tue.«
Eva näherte sich ihm, in ihrem Blick lag eine Mischung aus Entsetzen und Mitgefühl. »Das erklärt einiges.«
»Da bin ich sicher.« Er holte tief Luft. »Dante ist der, den ich am besten kenne. Aber ich habe es nie geschafft, irgendwelche Antworten von ihm zu bekommen. Bis du kamst.«
Daraufhin schien Eva die Wahrheit über ihre Rolle heute Nacht klarzuwerden, und ihre Miene verhärtete sich. »Du hast mich dazu benutzt, ihm seine Geheimnisse
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