Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
zuerst überlegt, ob man dagegen einschreiten sollte; einige meinten, das sei nostalgische Wehmut, die von den eigentlichen Aufgaben ablenke, dann gab es aber einen Mehrheitsbeschluß: Es sei, im Gegenteil, eine äußerst fortschrittliche Sache, das Erbe der Menschheit auch auf diese Weise zu bewahren.« Sie blickte Timothy liebevoll an. »Eine goldene Kutsche, welch ein schöner Gedanke.«
Timothy kippte sein Glas und füllte es sogleich wieder randvoll. »Es wäre barmherziger gewesen, ich hätte nie so zu träumen gelernt. Ich hatte mich längst damit abgefunden, daß ich nie Liebe finden würde, einen Partner – und dann: ein Kind!« Er ließ die Hände kraftlos in den Schoß fallen und betrachtete sie wie etwas Fremdes. »Wie wahr: mit leeren Händen dastehen –«
Sie saßen lange still nebeneinander, schließlich brach Maud das Schweigen.
»Es fällt so schwer, die richtigen Worte zu finden. Du weißt: nicht nur du trauerst um Anne.«
»Habt ihr denn überhaupt eine Ahnung, was ich verloren habe?« schrie Timothy verzweifelt. »Was wißt ihr denn von dem elenden Leben eines Zwerges!« Er trank den Whisky aus. Er goß das Glas nicht wieder voll, er umklammerte die Flasche mit beiden Händen.
»Ich verstehe, daß du verbittert bist«, sagte Maud, »aber deine Aufgabe, dein ganzes Leben –«
Timothy sah sie traurig an. »Ich hatte mein Leben hier oben schon abgeschlossen. Endgültig. Ihr hättet machen können, was ihr wolltet, ich wäre mit Anne in den UNDERGROUND gegangen. Und nun? Ich kann unmöglich weitermachen wie früher.«
»Dann komm. Die Engel brauchen viel Hilfe. Dir vertrauen sie.«
»Ich fürchte, ich kann in der nächsten Zeit keine Kinder sehen«, sagte Timothy leise. Er setzte die Flasche an die Lippen und trank in kleinen, hastigen Schlucken.
Maud schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Bitte, Tiny!«
»Keine Angst, ich besaufe mich nicht. Ich habe morgen noch etwas zu erledigen.«
»Ja?« Maud blickte ihn erwartungsvoll an.
»Das geht dich nichts an«, erklärte Timothy. »Das ist ganz allein meine Angelegenheit. Und nun laß mich bitte allein.«
Timothy fuhr seinen Sessel ins Arbeitszimmer. Jedesmal, wenn Napoleon sich räusperte, nahm er einen kleinen Schluck. Schließlich gab er ihm den Snarr frei.
»Jetzt fühle ich mich stark genug, dich zu ertragen«, sagte er spöttisch. »Du darfst dein Superhirnschmalz über mich ausschütteln.«
»Darf ich damit beginnen, daß ich meiner Freude Ausdruck verleihe, Sie wieder im Vollbesitz Ihrer Kräfte zu wissen, Sir?«
»Du darfst, mein Lieber, aber wieso?«
»Nun, vorgestern schienen Sie mir reichlich verwirrt. Es war, um es so zu formulieren, kein vernünftiges Wort mit Ihnen zu wechseln, und vor der Totalschaltung war es noch schlimmer. Verzeihen Sie, Sir, aber mich erfaßte tiefe Besorgnis über Ihren Geisteszustand.«
»Vielen Dank für deine Besorgnis«, erwiderte Timothy. »Ich will gestehen, daß ich zutiefst gerührt bin über deine Zuneigung.«
»Wissen Sie, daß man in Ihrer Abwesenheit versucht hat, ein Alter ego von mir anzufertigen?«
»Ja, das geschah in meinem Auftrag.«
»Bedeutet das, daß Sie meiner demnächst nicht mehr bedürfen?«
»Ganz im Gegenteil!« rief Timothy. »Napoleon, wo bleibt deine vielgepriesene Logik? Ich bedarf deiner derart, daß allein der Gedanke, dich eines Tages verlieren zu können, mich ganz krank gemacht hat. Jetzt gibt es dich doppelt, und du bleibst mir erhalten, selbst wenn du hier morgen eliminiert würdest. Damit hast du zugleich einen Schritt zur Unsterblichkeit gemacht und bist mir nun auch in diesem Punkt überlegen. Zufrieden?«
»Sagen wir es so: Ihre Interpretation ist recht angenehm, leider jedoch nicht stichhaltig. Ich kann mir weder vorstellen, daß es Unsterblichkeit, noch daß es mich im eigentlichen Wortsinn doppelt gibt. Gewiß, man kann Dateien doppeln, aber Ideateien? Sowohl das sechste axiomatische Theorem –«
»Einen Moment, bitte.« Das Alarmlicht zeigte an, daß jemand die Wohnung betreten hatte. Timothy ging auf den Flur. Doc starrte ihn verblüfft an.
»Das nenne ich eine gute Überraschung!« Er nahm Timothys Kopf in beide Hände, schob mit den Daumenkuppen Timothys Lider hoch und studierte seine Augen, dann schnupperte er. »Und der Whisky scheint dir auch wieder zu schmecken.«
»Eigentlich sollte ich dich achtkantig rausschmeißen«, murrte Timothy. »Jetzt wird man schon von seinem Arzt bestohlen und betrogen. Aber du kommst mir gerade recht, mich
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