Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
Wintrop weit über Vierzig sein mußte.
»Ich bin nur Deputy Marshal«, erklärte Timothy. »Der Commissioner des Staates Illinois möchte die leidige Affäre von Wheeling möglichst diskret aus der Welt schaffen und hat mich zur Mitarbeit verpflichtet, ich denke, Sie werden schnell verstehen, warum. Sie werden in mir einen verständnisvollen Gesprächspartner finden.«
»Ich weiß von keiner leidigen Affäre«, erwiderte Wintrop.
»Bitte!« Timothy legte begütigend die Hand auf Wintrops Arm und führte ihn in das Wohnzimmer. »Wir können Sie natürlich auch in das Präsidium vorladen, aber würde Mister Brooker glücklich darüber sein? Ist es nicht besser, wir erörtern das Problem in einer fast intimen Atmosphäre? Was möchten Sie, Tee, Kaffee, Saft, Wasser?«
»Tee. Wenn Sie haben, grünen Tee.«
Wintrop blätterte in den Kochbüchern, als Timothy aus der Küche zurückkam.
»Kochen ist meine Leidenschaft«, sagte Timothy. »Was ist Ihre Lieblingsspeise, Mister Wintrop? Vielleicht kann ich Ihnen –«
»So intim wollen wir nun doch nicht werden!« erwiderte Wintrop unwillig. »Warum haben Sie mich vorgeladen?«
»Sie haben an der Michigan State University Molekularbiologie und am Haldane-Institut Genchirurgie studiert, soll ich wirklich annehmen, daß Sie sich jetzt mit der Züchtung von Bakterien und Hefepilzen für die Industrie begnügen?« Timothy lehnte sich zurück und zitierte: »Wenn der Mensch seine Evolution selbst in die Hand nimmt, wird er neue Eigenschaften, Organe und Biosysteme entwickeln, die den Interessen, dem Glück und der Herrlichkeit der gottgleichen Wesen dienen, die die Menschen einst sein werden, Geschöpfe von makelloser Schönheit, überragender Intelligenz und herkulischer Kraft, eine Rasse aus eigener Vollkommenheit, deren dürftige Vorahnung wir elenden Kreaturen von heute sind.«
»Sie kennen Muller?« Wintrop musterte Timothy beeindruckt.
»Aus Ihrer Dissertation. Sie haben über genetische Latenz promoviert, ein interessantes Thema, wie ich finde. Und ein verlockender Gedanke: die in den Chromosomen aller Zellen schlummernden Texte durch Abbau der Repressoren gezielt zu aktivieren. Wirklich schade, daß Sie Ihre Versuche aufgegeben haben, die Leber oder die Galle auf diese Weise zur Produktion von Insulin anzuregen.«
»Wer sagt, daß ich es aufgegeben habe? Im Gegenteil, ich stehe kurz vor –« Wintrop schwieg bestürzt.
»Ich weiß«, sagte Timothy. »Ich wollte Sie nur aus der Reserve locken. Und Ihr Kollege Prentiss arbeitet nach wie vor daran, menschliche Teile nachwachsen zu lassen; wieso glaubt er eigentlich, daß das möglich sein könnte?«
»Auf unseren Chromosomen sind höchstwahrscheinlich nicht nur die Zelleigenschaften des gegenwärtigen Menschen verzeichnet, sondern auch die Anlagen früherer Spezies aus der Entwicklungsgeschichte. Prentiss geht davon aus, daß in den menschlichen Genen eine wenn auch blockierte Fähigkeit zur Regeneration von Organen und Körperteilen latent vorhanden ist.«
»Womit wir festgestellt haben«, sagte Timothy schmunzelnd, »daß im YORKLAB zumindest auf zwei Gebieten humangenetische Forschung betrieben wird.« Wintrop starrte ihn betroffen an.
»Wenn Sie glauben, uns einen Verstoß gegen die Konvention nachweisen zu können«, stieß er hervor, »irren Sie sich sehr!«
»Sie experimentieren mit Massen von exuterinen menschlichen Blastozyten.«
»Das ist nicht verboten!«
»Ich bin nicht zu Ihrem Richter bestellt, Mister Wintrop, ich will nur verstehen.«
Wintrop entspannte sich. »Hören Sie zu, Mister Truckle: Human-Genetic-Engineering ist uns untersagt, nicht aber die Erforschung spontan auftretender Mutationen. Wer sagt uns, daß unter den Mutationen, die bei einer massenweisen Produktion von Embryos auftreten, nicht ein genetischer Sprung von Bedeutung ist? Zum Beispiel die Fähigkeit, Insulin nicht nur in der Bauchspeicheldrüse zu produzieren oder Zähne nachwachsen zu lassen. Oder stellen Sie sich vor, wir entdeckten eines Tages ein Embryo mit einer zusätzlichen Teilung der Großhirnzellen!«
»Ein verdoppeltes Gehirn? Verlockend!« gab Timothy zu. »Nichts liegt näher, als da ein wenig nachzuhelfen.«
»Das weise ich strikt zurück! Sie werden keine Beweise dafür im YORKLAB finden.«
»Will ich das?« erwiderte Timothy gelassen. »Was machen Sie eigentlich mit den Embryos? Pflanzen Sie wenigstens die gelungenen ein und lassen sie austragen?«
»Natürlich nicht.« Wintrop sah Timothy belustigt an.
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