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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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und ein elegantes Schnappen, als erst die eine, dann die andere Tür ins Schloss fiel. Jane Shine war zurück.
    Ruth spürte genau, wie die ganze Gruppe, die gesamte Künstlerkolonie, eben noch voll schwirrender Aufregung über ihre Taten, ihre Kühnheit und darüber, wie meisterhaft sie die Staatsgewalt überlistet hatte, einen Sekundenbruchteil lang schwankte. Das Geplauder ringsherum verstummte, und ihr sank der Mut. Dann jedoch erklang Laura Grobians raue, aber vornehme Stimme und füllte das Vakuum – »Aber jetzt sag einmal ehrlich, Ruth: Du hattest diesen armen Mann doch schon von Anfang an bei dir versteckt, oder?« –, und der Augenblick war vorüber. Und ausnahmslos alle wandten sich wieder ihren Drinks und ihren Gesprächen zu. Jane Shine war also zurück. Und was gab’s sonst noch Neues?
    Für Ruth hätte es nicht besser laufen können. Nun war sie wieder die Bienenkönigin – sie bereitete sich sogar schon darauf vor, später am Abend Jane Shine bei deren unvermeidlichem Auftritt im Billardzimmer gnädigst Audienz zu gewähren, oder vielleicht würde sie sie auch schneiden, ja, vielleicht sollte sie das – es hätte wirklich alles nicht besser laufen können, bis auf einmal aus der Richtung von John Berryman ein einzelner gellender Schrei ertönte, dann ein Gewirr von Stimmen und Klagen, bis schließlich laute Schritte die Veranda heraufgestürmt kamen. »Was ist denn los?«, rief jemand, und Ruth sah das wütende, kreideweiße Gesicht des Sheriffs, sah Abercorn und Turco mit zusammengekniffenem Mund und funkelnden Augen, und dann richtete sich der Blick des Sheriffs auf sie, Ruth, als die erste im Raum, die er erkannte. »Das Telefon«, bellte er, »wo ist das Telefon?«
    Sie erstarrte. Wieder fielen sie über sie her, hetzten sie wie die Bluthunde. In diesem Moment brach alles zusammen, Gesichter wogten rings um sie wie Bettlaken im Wind. »Telefon?«, wiederholte sie verständnislos und benommen.
    »Ja, verdammt noch mal!«, schnarrte er und musterte sie voller Hass, echtem Hass, ehe er sich angewidert abwandte und auf Laura Grobian zustürzte. Und dann wandte er sich auch von dieser abrupt wieder ab, fuchtelte mit den Armen in Richtung der auf der Veranda versammelten Künstler, die süßliche Drinks und Schwenker mit dunklem, kreisendem Cognac in der Hand hielten. »Sie müssen uns helfen, Sie alle«, rief er, und dann wurde seine Stimme fast unhörbar. Er beendete den Gedanken so leise, als spräche er zu sich selbst: »Dieser Mistkerl ist nämlich ausgebrochen und läuft wieder frei herum.«

VIER WÄNDE
    Sie hatten ihn eingefangen. Zur Strecke gebracht. Ihn mit ihren Gewehren und Hunden und Negern überwältigt. Sie hatten ihn eingefangen, ja. O ja. Hatten ihm Schläge und Handschellen verpasst, hatten ihm ihre Ellenbogen in die Rippen, in den Bauch, ins Kreuz gerammt. Hatten ihn geschlagen, beschimpft, erniedrigt und Spießruten laufen lassen, als wären sie wilde Indianer, hatten gejohlt und ihn bespuckt und als Japsen, Schlitzauge und Chinesen bezeichnet. Ja. Aber es waren keine Indianer. Sie hatten weiße und schwarze Gesichter, blaue Augen und krauses Haar, sie stanken nach Butter und Whiskey und nach dem Lehm, der ihre Fingernägel schwärzte, und sie waren es ja auch gewesen, die die Indianer mit einer so erbarmungslosen und primitiven Blutgier ausgerottet hatten, dass die Wilden dagegen richtig zivilisiert wirkten. Ja. O ja. Und sie hassten ihn. Hassten ihn so heftig und automatisch, dass es ihm kalt ums Herz wurde: Das war die Gewalttätigkeit, die den Amerikanern in den Knochen steckte. Dies war der Mob, der Volksaufstand, bei dem jeder über jeden herfiel.
    Dieser Hass. Ihm schauderte davor, wirklich. Er war doch wie sie – darum ging es doch, sahen sie das denn nicht? Er war auch ein Bastard. Aber das sahen sie nicht, wollten es nicht sehen. Sie fesselten ihn und stießen ihn herum und spuckten ihm ihre Flüche ins Gesicht, und er sah den Hass in ihren kalten, verwaschenen hakujin -Augen, sah es im versteinerten schwarzen Starren der Neger: Er war ein Insekt, eine Schlange, etwas, was man zertrat und eliminierte, in den Boden stampfte. Im Gesicht des Negerjungen hatte ein beinahe ekstatischer Hass geleuchtet, als er ihm auf dem Waldweg aufgelauert hatte, unbarmherzig und von seiner Leidenschaft verzehrt, schlimmer noch als die Hunde. (Auch die waren da, waren über ihm, direkt vor Hiros Gesicht hatten sie geknurrt und gegeifert und ihren Atem nach verwestem Fleisch verströmt,

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