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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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am ganzen Leib zitternd in dem Wunsch, über ihn herzufallen und ihn in Stücke zu reißen.) Onkel!, rief der Junge immer wieder, als wäre es eine Art Kriegsruf, Onkel! Onkel! , mit geballten Fäusten, stechendem Blick, schwerer Zunge, sein Blut in Salzsäure verwandelt, so intensiv war sein Hass.
    Und dann erschien der aufgeplusterte kleine Kerl im Tarnanzug, der den Jungen von ihm wegzog und Hiros Handgelenke in die Handschellen presste, und der andere Neger, der die Hunde zurückrief, und das Fleckengesicht vom INS und schließlich der Sheriff. In keinem von ihnen glimmte auch nur ein Funken Menschlichkeit. Sie hatten noch nie gelächelt, gelacht, gutes Essen, Freundschaft, Liebe oder Zuneigung erlebt, hatten noch nie einen Hund getätschelt, eine Katze gestreichelt oder ein Kind zur Schule gebracht. Sie waren Jäger. Mörder. Und Hiro war ihre Beute, fremd und ausländisch, und sie verschwendeten auf ihn nicht mehr Gedanken oder Zeit als auf eine Küchenschabe, die von der Decke in ihre Frühstücksflocken gefallen war.
    Ihre Hände packten ihn, feste Hände, eiserne Hände, und die Handschellen schnitten in seine Gelenke ein. Der Sheriff zerrte ihn auf die Beine und führte ihn den Pfad entlang, wütend und zielbewusst, riss hie und da an seinem gefesselten Unterarm, während ein Hilfssheriff ihn von hinten stieß. Irgendwo weiter vorn konnte Hiro sie grölen und fluchen und ihre Gewehre abfeuern hören, doch dann stieß der Sheriff einen kräftigen, heiseren Schrei aus, und die Schüsse hörten abrupt auf, hingen noch einen Moment lang als Echo in der Luft und verklangen dann. Stille legte sich über den Morgen, und auf einmal hatte Hiro Angst. Er behielt diese Angst als Klumpen in sich, als einen Tumor der Angst, und er senkte den Kopf und konzentrierte sich auf seine Füße.
    Der Mann im grünen Tarnanzug und der Junge mit den Hunden hielten sich hinter Hiro und dem Sheriff – auch die Hunde waren jetzt verstummt, jaulten und hechelten nur wie Stadttiere, die im Park spazieren geführt werden –, dahinter gingen der Mann vom Einwanderungsamt und der spinnendürre Negerjunge, dessen riesengroßer, unstillbarer amerikajin -Hass Hiro gefällt hatte. Das Ganze war eine Parade. Zornig, stumm und wütend, eine Parade zur Feier des Hasses. Doch Hiro blieb keine Zeit zum Philosophieren – schon traten sie auf die Lichtung von Ruths Studio, und ein Raunen erhob sich rings um ihn. Er hielt den Blick zum Boden gesenkt, aber er spürte ihre Gegenwart, Schwarze und Weiße, spürte den Mob und roch das Schießpulver in der Luft. Niemand sprach ein Wort. Niemand fluchte oder beschimpfte ihn. Doch dann trat plötzlich ein Mann vor, ein Kerl so vertrocknet wie ein Stück Feuerholz – »Ihr Japanerschweine habt meinen Bruder Jimmy totgemacht«, fauchte er –, und Hiro spürte einen stechenden Schmerz in der Seite, als der Ellenbogen seine Niere traf, und dann bespuckten ihn auch die anderen – dieser Hass –, bis der Sheriff ihn in sein Auto schob und wegbrachte, aus dem Dschungel hinaus, die schwarze Asphaltstraße entlang und in die Zelle, die auf ihn wartete.
    Und nun war er hier, gefangen in einer gaijin -Zelle, wo sich sein Schicksal erfüllte.
    Vom Lagerraum auf der Tokachi-maru über das große Schlafzimmer in Ambly Woosters Haus und das schmale Sofa in Ruths Studio bis in diese trostlose Zelle aus bröckligem Mörtel und Stein – er blieb ein ewiger Gefangener, hoffnungslos unterlegen. Die Stadt der Brüderlichen Liebe war eine Illusion, ein Märchen – das war ihm jetzt klar. Und dann dachte er an Jōchō und Mishima. In der Niederlage gab es nur einen ehrenvollen Weg, und das war der Weg in den Tod. Am Tag seines Todes hatte Mishima den Soldaten der japanischen Armee eine Rede gehalten, hatte sie aufgerufen, sich gemeinsam mit ihm zu erheben, um Japan zu läutern, und als sie ihm nicht folgten, als sie ihn auslachten und verhöhnten, hatte er sich sein Schwert in die Eingeweide getrieben und sie alle gedemütigt. Allein in seiner Zelle, voller Schuldgefühle und Scham, besann sich Hiro wieder auf Jōchō. Den zerfledderten, zerlesenen Band hatte er nicht mehr bei sich – den hatte ihm der Sheriff abgenommen, zusammen mit dem Bild von Doggo und den komischen kleinen Münzen, die er von der Frau in dem Coca-Cola-Laden herausbekommen hatte –, aber er kannte den Text, wusste ihn auswendig. Je mehr sie ihn hassten, desto japanischer wurde er.
    Es konnte nicht viel später als sieben Uhr früh sein, und schon

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