Der Samurai von Savannah
gewissermaßen eine Ausnahme gewesen – ein ruhiger Collegeabsolvent mit verständlicher Ausdrucksweise –, Sheriff Tibbets dagegen entsprach allen Erwartungen. Er war ein grimmig dreinblickender, dicker Mann, dessen Backe von einem Pfriem Kautabak ausgebeult wurde, den breitkrempigen Westernhut trug er tief in den Nacken geschoben, und seine Augen, hinter einer Spiegelsonnenbrille verborgen, waren zu klein und stumpf, um wirklich menschlich zu wirken. Bei der Besprechung im Polizeirevier von Ciceroville am Abend zuvor hatte er Abercorn mit unverhohlener Verachtung gemustert, und jetzt wandte er nicht einmal den Kopf, um ihn und Turco zu begrüßen. Offenbar war gerade eine Diskussion im Gange, aber Abercorn verstand nicht recht, worum es ging – der Akzent hier war wirklich verteufelt, alle klangen, als kauten sie beim Sprechen auf ihren Socken.
»Nargn wargn, dröde schmitt«, sagte der Sheriff gerade.
Der Mann neben ihm – er wirkte wie ein Spielzeug neben dem Sheriff, so zapplig, düster blickend und schlaksig wie einer aus dem Snopes-Clan – beharrte auf seinem Standpunkt. Was er sagte, klang wie unter großen Schmerzen hervorgepresst.
Einen Augenblick lang war es still, dann legte der Sheriff den massigen Kopf in den Nacken, wobei er eine Ansammlung grellroter Pusteln unter dem Kinn freilegte und das Licht des Himmels von seiner Sonnenbrille nach oben zurückspiegelte. »Nargn wargn«, sagte er noch einmal, »dröde schmitt.«
Turco verschränkte die Arme. Er wirkte gelangweilt und ungeduldig. In der Ferne flog wieder ein Vogel über den leer gebrannten Himmel, flatterte mit Beinen und Flügeln. »Worum geht’s hier?«, fragte Abercorn.
Leise antwortete Turco: »Hasenzähnchen hier will mit Hunden losgehen, aber der Sheriff ist dagegen.« Er ließ seinen Blick über den Anlegeplatz, in die Büsche, den Schlamm und die wildwuchernden Bäume streifen, kniff die Augen zusammen, als rechnete er irgendwie damit, den gesuchten Japaner über den Horizont rudern zu sehen. »Hunde sind hier verboten«, setzte er erklärend hinzu. »Ist so Vorschrift im Park. Sie machen die Alligatoren völlig verrückt – die kippen ganze Kanus um und springen sogar aus dem Wasser raus, um sich die Viecher vom Pier zu schnappen. Wirkt wie Katzenminze auf Katzen.«
Abercorn war perplex. Alligatoren, du liebe Güte! Je mehr er über diese Gegend erfuhr, desto heftiger sehnte er sich an den Hollywood Boulevard zurück.
Sie standen noch eine Weile herum und hörten zu, wie der Sheriff und seine Leute mit Socken im Mund aufeinander einredeten, dann machten sie sich wieder auf den Weg, Turco ging voran, Abercorn folgte ihm. »Sind doch alles Vollidioten hier«, verkündete Turco, spuckte die Worte über die Schulter. Abercorn stimmte ihm uneingeschränkt zu, nur fragte er sich, wohin sie eigentlich gingen und wie sie es anstellen würden, Hiro Tanaka aufzuspüren, zu verfolgen, festzunehmen und zu deportieren, damit N. Carteret Bluestone ihm nicht mehr im Nacken säße. Außerdem sehnte er sich danach, aus dieser Hinterwäldlerprovinz wieder wegzukommen, zurück zu den verschlafenen, moosgrünen Straßen von Savannah und in die Gesellschaft von jungen Frauen wie Ginger und Brenda, die nichts weiter wollten als Bourbondrinks schlürfen, Austern essen und mit ihm auf dem Teppich vor der Klimaanlage eine sportliche Nummer schieben. Turco führte ihn zurück zu dem Polizeikordon und auf das dahinterliegende Touristenzentrum zu.
»Wohin gehen wir eigentlich, Lewis – was hast du vor?«
Turco blieb auf den Stufen vor ihm stehen, war auf gleicher Höhe mit ihm, Auge in Auge. »Ich bin dafür, wir nehmen eins dieser Motorboote und greifen uns diesen Clown Saxby. Der weiß, wo der Japse ist, glaub mir.«
Abercorn war gar nicht sicher, ob er Saxby wirklich festnehmen wollte – mit welcher Begründung eigentlich? –, aber es schien eine gute Idee, sich mit ihm zu unterhalten. Jedenfalls hatte er keinerlei Lust, länger bei der Anlegestelle herumzuhängen und sich mit dem Sheriff abzugeben, der etwa so umgänglich wirkte wie ein Kettenhund. Er zuckte die Achseln und folgte Turco in das Touristenzentrum, wo sechs Frauen, alle unterschiedlich alt und unterschiedlich stark blondiert, erwartungsvoll hinter der Theke standen und einander im Wettstreit um das breiteste Lächeln zu übertreffen versuchten.
Turco ging direkt auf die jüngste zu, ein Mädchen mit großen wasserblauen Augen und einem Namensschildchen, das sie als Darlene
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