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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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aus dem Augenwinkel gesehen, als er in die Parklücke gesetzt hatte – für Touristen waren sie zu gut gekleidet, und sie wirkten nervös, angespannt, als würden sie gleich in Laufschritt fallen, und was war das, eine Kamera? –, und mit einem Mal war ihm alles klar: die Medien. Sie gingen schon auf ihn los, bevor er noch richtig aus dem Auto gestiegen war, und da war sein Gesicht, mitsamt den geschwollenen Ohren, das ihm in drei grellen Farben aus dem dunklen Auge der Fernsehkamera zurückgespiegelt wurde.
    »Mr. Abercorn« – sein Name, sie kannten seinen Namen –, »Mr. Abercorn!«
    Eine Frau mit einem Gesicht wie aus Plastik und versteinertem Haar hatte sich breitbeinig vor ihm aufgestellt wie eine Ringerin. Sie kam ihm bekannt vor, sah aus wie jemand, den er im Fernsehen gesehen hatte, damals in den Zeiten, als er noch in einer Wohnung gewohnt, in einem Büro gearbeitet hatte, als er ein Mitglied der Gesellschaft gewesen war, mit einem öden Achtstundenjob wie jeder andere auch. Fernsehen, dachte er, huch, jetzt komm ich ins Fernsehen, und er fühlte sich ein bisschen aufgeregt, gegen seinen Willen. Dann aber wurde ihm klar, dass N. Carteret Bluestone garantiert auch zusehen würde, und er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog, um den Tümpel aus billigem Imbisskaffee, der in ihm brodelte, tief drinnen, ihn zerfraß wie Batteriesäure.
    Was als nebensächliche Geschichte begonnen hatte, als Sechszeilenmeldung auf Seite 28 des Savannah Star , als etwas, womit man die leeren Stellen auffüllte, nachdem die Sonderangebote für Hühnerfilet und Klopapier schon gesetzt waren, war jetzt eine Riesenstory, eine TV -Story. Er hätte es sich ausrechnen können. Schließlich war es ein echter Knüller, mit Sex, Gewalt, Fremdenhass, haarsträubenden Gefängnisausbrüchen, mit vor Schlangen und Alligatoren wimmelnden Sümpfen, Gerüchten von offizieller Inkompetenz und heimlicher Beihilfe durch eine höchst suspekte Bande von Schriftstellern und Künstlern. Teufel auch, das gab genug Stoff für ein Fernsehspiel, für eine ganze Vorabendserie, ab. Sensation im Sumpf. Im Banne des Okefenokee. Ein Japse auf der Flucht.
    Die Frau mit dem Plastikgesicht wollte wissen, wieso die Einwanderungsbehörde gut sechs Wochen gebraucht habe, diesen flüchtigen Japaner zu fassen – und was es mit angeblich recht inkompetenten Aktionen auf sich habe. Sie legte die Stirn in forschende Runzeln, als täte es ihr eigentlich weh, solch bohrende Fragen stellen zu müssen. Ehe Abercorn sich eine Antwort zurechtlegen konnte, hielt ihm ein etwa fünfzigjähriger Mann mit markanter Nase und weiß behaarten Unterarmen ein Mikrofon hin und fragte, was bei der Absicherung des Gefängnisses auf Tupelo Island nicht geklappt habe – war da etwa jemand während des Dienstes eingenickt? Und wenn ja, wer?
    Und dann schrien alle durcheinander: Wie beurteilte er die Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden? Wovon ernährte sich der Gesuchte dort draußen eigentlich? Rechneten sie damit, ihn bald einzufangen? War er bewaffnet? Wie gefährlich war der Morast? Die Schlangen? Die Alligatoren? Was war mit Ruth Dershowitz?
    Abercorn wurde allmählich gegen sein Auto gedrängt, er fühlte sich noch einen halben Meter größer, als er ohnehin war, fühlte sich nackt und exponiert, mit einem Gesicht wie eine auf dem Grill geröstete Bratwurst. Es waren zu viele, und sie fielen alle gleichzeitig über ihn her. Er hatte noch nie in der Öffentlichkeit gestanden, ihm war noch nie auch nur eine einzige Frage zu seiner Arbeit gestellt worden, weder persönlich noch telefonisch, nicht einmal damals, als ein paar Hmong aus Laos einen Chihuahua im Mikrowellenherd grillten und der Hundezüchterverband das mit den Gräueln der Nazis in Auschwitz verglich. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Und er wäre womöglich ewig so blöd rumgestanden, live und in Farbe, und hätte sich vor N. Carteret Bluestone und der halben restlichen Welt blamiert, wenn Turco nicht gewesen wäre. Mit mordlustigem Grinsen und einem geknurrten »Kein Kommentar« packte er Abercorn am Arm und brach durch das Dickicht der Mikrofone. Sie bahnten sich einen Weg und marschierten rasch auf die Deckung des Polizeikordons und auf den Trupp der frisch rasierten, uniformierten Männer zu, die sich dahinter aufgestellt hatten.
    Abercorn erkannte den Mann im Zentrum dieser Gruppe: Sheriff Bull Tibbets von der Polizei in Ciceroville. Theron Peagler auf Tupelo Island war

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