Der Samurai von Savannah
und roch misstrauisch daran. »Ich hab mir eben mal dein Aquarium näher angesehen, Saxby«, sagte seine Mutter und nippte an ihrem Eistee, »und ich muss sagen, es ist wirklich das allerhübscheste, das du jemals gemacht hast, aber dann hab ich mich doch auch gefragt: Wo sind denn bloß die Fische ?«
Die Cocktailstunde rückte schon ziemlich nahe, als er sich aufraffte und das Zimmer verließ. Seine Mutter hielt ihr leeres Glas in Händen und hatte den Kopf nach hinten gelegt, sodass die Malermütze wie ein Floß auf den weißen Wogen ihrer Dauerwelle saß. Sie schnarchte leise aus den Tiefen des Sessels, als er die Tür hinter sich zuzog. Er holte ein Handtuch aus dem Bad, streifte sich die Badehose über und suchte sich Maske, Schnorchel und Flossen aus dem Schrank. Dann nahm er den Hinterausgang und ging über
den Rasen zum Boot, weil er sich ein bisschen bewegen wollte, ehe die Drinks und das Abendessen seine Glieder zu Teig verwandelten.
Die Sonne brannte so heiß auf seinem Rücken, als würde sie mit der Schöpfkelle aufgetragen, aber es war auch ein gutes Gefühl. Er winkte Ina Soderbord zu, die sich in einem der Liegestühle bräunte, fing den Geruch des Ozeans und ein leises, fernes Dröhnen von Discomusik auf, und dann trat er in die schattige Festung der Bäume. Der Geruch des Lebens war hier stärker, urtümlich, erdverbunden. Schmetterlinge taumelten wie Konfetti durch die Lichtbalken, Vögel verschwanden und tauchten wieder auf, ein Chamäleon, so grün wie Kunstrasen, hockte auf einem bemoosten Baumstumpf. Er fühlte sich gut. Im Einklang mit allem. Der Rest des Tages lag vor ihm als Aneinanderreihung einfacher Freuden: ein Sprung in den Atlantik, die schwebende, ewige Stille des Meeresgrunds, der erste aromareiche Schluck Wodka, Ruth, gebackene Krabben und Endiviensalat, Brandy, Billard, Sex. Die Not jenes langen wodkagetränkten Abends im Billardzimmer lag hinter ihm. Es bedeutete ja nichts, es war ein Irrtum, eine Fehlinterpretation: Ruth spielte bloß das Spiel mit, sonst nichts, sie knüpfte Verbindungen. Als er an den Bootssteg kam, fühlte er sich grandios, sagenhaft, so vom Augenblick erfüllt, dass er tanzte und Melodien pfiff, als wäre er in einem kitschigen Zeichentrickfilm und hätte tschilpende Vögelchen auf den Schultern sitzen.
Aber was war das? – In seinem Boot saß jemand. Ein langer, schlaksiger Kerl: Statur eines Basketballspielers, Schirmmütze der L.A. Dodgers, ein Gesicht wie mit Salzsäure gewaschen: Abercorn. Seine Freude verflog, als wäre sie abgeschaltet worden. »Hallo«, sagte er und fühlte den Schlamm zwischen seinen Zehen, fühlte sich albern, als wäre dies nicht sein Boot, sein Wasser, sein Wald, als wäre es nicht der Boden, auf dem seine Vorfahren seit zwei Jahrhunderten geboren und gestorben waren.
Abercorn saß vorgebeugt und schrieb hektisch in einen gelben Notizblock, ohne auf den schönen Tag, die Dünung, den Zug des Bootes an der Fangleine oder auf Saxby zu achten. Er hatte sich Kopfhörer übergestülpt. Saxby verfolgte das Kabel von Abercorns fleckigen Ohren über den gesprenkelten Nacken und den zerknitterten Kragen bis zu dem Walkman in seiner Hemdtasche und folgerte, dass er sich entweder von den Musen zu einem Roman inspirieren ließ oder gerade die Bandaufnahmen seiner Gespräche mit den diversen Holzköpfen transkribierte, die diese Insel bevölkerten. »Hallo«, wiederholte Saxby, diesmal lauter.
Als sich immer noch keine Reaktion einstellte, warf er die Schwimmflossen ins Boot, und damit hatte er Erfolg: Abercorn fuhr hoch wie nach einer Attacke von innen, als hätte ihn der eigene Körper verraten. Er starrte zu Saxby empor – verdammt noch mal, seine Augen waren wirklich rosa, wie bei einem Karnickel –, dann riss er sich die Kopfhörer herunter und keuchte einen verwirrten Gruß hervor. »Oh, hallo«, stammelte er und sah dabei aus, als käme er von sehr weit her. »Ich bin gerade, äh – also hoffentlich stört Sie das nicht mit dem Boot hier und so, ich dachte nur, es ist so ein schöner Tag, und ich –«, aber dann, als wäre seinem Ballon die Luft ausgegangen, verstummte er abrupt.
»Klar«, sagte Saxby, der beinahe ebenso verlegen war wie dieses rosaäugige Monster, »kein Problem. Ich wollte gerade mal aufs Meer rausfahren. Nur ein bisschen schwimmen. Sonst nichts.«
Abercorn machte keine Anstalten, sich zu erheben. Stattdessen durchbohrte er Saxby mit einem plötzlich sehr listigen Blick und sagte: »Haben Sie was
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