Der Sand der Zeit
verbotene Welt, hinter der das Grauen lauerte. Ein dumpfer, an- und abschwellender Ton heulte plötzlich über das Deck des Langbootes, ein Laut wie ein Schrei aus einer tausend Jahre alten Kehle, und obwohl ich nicht sah, was sich hinter mir abspielte, sagte mir das jähe Entsetzen in Beckers Gesicht genug.
Seine Augen weiteten sich. Er schrie auf, aber seine Stimme ging in jenem entsetzlichen Heulen und Wimmern unter, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Dann war plötzlich ein Schatten über mir, ein riesiger, mißgestalteter Schatten, dessen Kopf in zwei gewaltigen, gegeneinander geneigten Hörnern auslief.
Blind vor Angst und halb verrückt vor Entsetzen zog ich mich mit einem Klimmzug an dem Metallschild hoch und strampelte wie wild mit den Füßen, um mich aus den zersplitterten Planken zu befreien.
Becker warf sich vor, packte meine Handgelenke und versuchte mich an Deck der Yacht hinaufzuzerren. Fast im gleichen Moment brüllten die beiden Dieselmotoren des Bootes auf, und die Yacht schoß los.
Das Wikingerboot leider auch.
Für einen kurzen, schrecklichen Moment hing ich wie über einem Abgrund. Die Reling des Langbootes glitt unter mir hinweg, wobei die Kanten der Rundschilde eine schmerzhafte Spur quer über meinen Brustkorb zogen, dann spannte sich das Tau, das Becker zwischen dem Drachenkopf und der Yacht geknüpft hatte, und das Wikingerboot jagte ebenfalls schäumend durch die Wellen!
»Festhalten!« brüllte Becker, und ließ meine Hände los.
Ich reagierte ganz instinktiv. Verzweifelt klammerte ich mich an die metallene Reling der Yacht, während Becker mit großen, grotesk aussehenden Sprüngen über das Deck jagte und in der Kajüte verschwand. Hinter mir erscholl wieder dieses entsetzliche, an- und abschwellende Heulen und Wimmern, und plötzlich berührte etwas meinen linken Fuß und krallte sich hinein.
Ich drehte den Kopf, und erstarrte vor Schrecken!
Was ich sah, war einfach unmöglich, ein Bild, das geradewegs aus einem Pinewood-Hammer-Film zu stammen schien.
Und doch war es Realität, wie mir der immer schlimmer werdende Schmerz in meinem linken Unterschenkel bewies.
Hinter mir stand ein Wikinger; ein Riese von gut sechs Fuß Größe, in einen zerfetzten schwarzen Mantel und einen ledernen Harnisch gehüllt. Er sah aus, als wäre er seit mindestens tausend Jahren tot, und wahrscheinlich war er das auch, was ihn freilich nicht daran hinderte, mit aller Gewalt mein Bein festzuhalten.
Allerdings nur mit einer Hand. Mit der anderen schwang er eine riesenhafte, rostige Axt …
Die Zeit schien stehenzubleiben. Wie in Zeitlupe sah ich, wie der riesige Wikingerkrieger seine Axt schwang und dabei drehte, so daß die schartige Klinge direkt auf meinen Fuß deutete, versuchte verzweifelt, mich zu befreien, und spürte, daß meine Kräfte nicht ausreichten. Die Axt erreichte den höchsten Punkt ihrer Bahn und schwenkte zurück.
Und ich trat mit aller Gewalt zu.
Mein rechter Fuß traf in das erstarrte Totenkopf-Grinsen des Mumienkriegers und löschte es aus. Der Tritt war nicht wuchtig genug, den Wikinger ganz zurückzuschleudern, aber er brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er schwankte. Die Axt, die mich um einen Fuß kürzer hatte machen sollen, traf einen der Rundschilde an der Reling und spaltete ihn auf voller Länge. Gleichzeitig riß ich meinen linken Fuß los, und schrie vor Schmerz und Enttäuschung auf, als sich mein Bein nun zwischen zwei der rostigen Schilde verhakte. Der Wikinger kam taumelnd wieder hoch und ergriff seine Axt mit beiden Händen. Das auf ewig erstarrte Grinsen seines Totenschädels schien mich zu verhöhnen.
Hinter mir flog die Tür der Kajüte auf. Becker kam zurück, und in seinen Händen lag ebenfalls eine Axt. Im ersten Moment dachte ich beinahe, er wollte sich dem Mumienkrieger zum Kampf stellen, aber er sprang mit zwei gewaltigen Sätzen an mir vorbei, schwang seine Waffe, und ließ sie mit aller Wucht auf das Tau niedersausen, das unsere Yacht mit dem Drachenboot verband. Funken stoben. Das armdicke Tau zerriß mit einem peitschenden Knall, das Wikingerschiff fiel ein Stück zurück, und dann hatte ich das Gefühl, als würden mir die Arme aus den Gelenken gerissen.
Das Wikingerboot folgte der Yacht noch immer, aber jetzt war ich es, der als unfreiwilliges Schlepptau herhalten mußte, denn mein Fuß hing noch immer wie festgenagelt zwischen den beiden Rundschilden, während ich mich auf der anderen Seite an der Reling der Yacht festhielt. Aber wie
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