Der Sand der Zeit
lange noch?
Meine Kräfte begannen bereits zu erlahmen. Ich spürte, wie ich, Zoll für Zoll, meinen Halt zu verlieren begann …
»Loslassen, Robert!« brüllte Becker. »Um Gottes willen, laß es endlich los!«
Ich weiß nicht, ob ich auf seine Worte reagierte oder ob meine Hände einfach nachgaben, aber einen Augenblick später fand ich mich kopfunter im Wasser. Mein Gesicht schrammte unsanft am Rumpf des Wikingerschiffes entlang, dann ging ein fürchterlicher Ruck durch mein Fußgelenk, und plötzlich war ich frei. Ich sank wie ein Stein. Das Wikingerboot glitt schäumend über mich hinweg.
Ich unterdrückte mit aller Macht den Impuls, nach Luft zu schnappen, schließlich befand ich mich fünf Yards unter der Wasseroberfläche,, paddelte verzweifelt mit Armen und Beinen und tauchte keuchend wieder auf.
Eine Sekunde später, kaum daß ich meine Lungen mit Luft vollgesogen hatte, wünschte ich mir fast, es nicht getan zu haben.
Die Gefahr war keineswegs vorbei.
Das Wikingerboot war ein gutes Stück über mich hinweg-geschossen, aber es wendete jetzt mit einer schier unmöglich erscheinenden Bewegung auf der Stelle und glitt wieder auf mich zu. Hinter dem hochgereckten Drachenkopf erschien ein hörnergekröntes Totenkopf-Grinsen. Die hoch erhobene Axt in der rechten Hand des Mumienkriegers schien mir spöttisch zuzuwinken.
Und dann hörte ich hinter mir das Aufbrüllen eines Dieselmotors. Crandells Yacht schoß heran. Der rasiermesserscharfe Bug verfehlte mich um weniger als einen Yard. Die gewaltige Bugwelle erfaßte mich, schleuderte mich wie einen Korken zur Seite und fegte mich zehn, zwanzig Yards weit davon. Ich tauchte unter, schluckte Wasser und kam pru-stend und würgend wieder nach oben, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Crandells Yacht das Wikingerboot genau mittschiffs rammte und säuberlich in zwei Hälften zerschnitt.
Eine Stunde später saß ich in Havillands Wohnküche, trank die vierte oder fünfte Tasse Tee und fror noch immer zum Gotterbarmen. Der Tee war so heiß, daß ich mir fast die Zunge verbrühte, aber der Eisklumpen in mir wollte einfach nicht auftauen. Vielleicht war es auch nicht nur die Kälte, die ich spürte. Vielleicht war es einfach Angst, die sich wie ein kalter Stein in meinem Magen festgesetzt hatte.
»… und diese anderen Schiffe, die Sie gesehen zu haben glauben,«, sagte Havilland in diesem Moment.
», sind verschwunden«, unterbrach ihn Crandell, »im gleichen Moment, in dem das Schiff versank. Und wir haben nicht geglaubt, sie zu sehen, Professor. Sie waren da. So wahr ich hier stehe.«
Es war das achte oder neunte Mal, daß wir die ganze Geschichte durchkauten, seit wir wieder in Havillands Haus angelangt waren. Crandell und Becker hatten mich aus dem Wasser gefischt, aber ich erinnerte mich kaum, wie wir zurückgekommen waren. Die beiden hatten mich in eine Decke gewickelt, doch die Kälte war so grausam gewesen, daß ich praktisch das Bewußtsein verloren hatte und erst wieder zu klarem Denken fähig gewesen war, nachdem mich Becker und Havilland unter eine heiße Dusche bugsiert hatten.
Seitdem redeten wir. Unentwegt. Das heißt: Becker, Crandell und Havilland redeten, und ich fror.
Natürlich glaubte Havilland kein Wort von dem, was Crandell und Jake Becker berichteten, und wie konnte er auch?
Schließlich war er ein Wissenschaftler, jemand, der, wie man so schön sagt, mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand, und wie er auf alles, was nicht in sein wissenschaftlich untermauertes Weltbild paßte, reagierte, das hatte er mir vor weniger als zwei Stunden anschaulich demonstriert, als er mich aus dem Haus geworfen hatte.
»Und Sie, Mr. Craven?« wandte er sich jetzt an mich. »Sie behaupten auch, diesen … Zombie gesehen zu haben?«
Das Wort ärgerte mich. Es weckte Erinnerungen an schlechte Video-Filme und Groschenheftchen, aber ich begriff auch, daß das ganz genau der Grund war, aus dem Havilland es gewählt hatte. Ich verbiß mir die scharfe Antwort, die mir auf der Zunge lag.
»Ich ganz besonders«, antwortete ich, mühsam beherrscht.
»Sie haben mein Bein doch gesehen, oder?«
Havilland antwortete vorsichtshalber nicht darauf. Er hatte mein Bein gesehen, genau wie alle anderen. Ich trug jetzt einen frischen Verband über dem linken Fußgelenk, aber darunter war meine Haut rot und aufgerissen, und selbst der Dümmste hätte die Umrisse der riesigen Hand erkannt, die ihren Abdruck darauf hinterlassen hatte.
»Es muß eine
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