Der Sand der Zeit
Urururu-rururur-oder-was-weiß-ich-wievielter-Enkel Leif Ericksons.
Und er kann es beweisen, wenn man ihm nur die Gelegenheit dazu gibt.«
»Aber dann … Großer Gott!«
Ich fuhr herum und starrte wieder auf das Meer hinaus. Ich war mir nicht sicher, aber es kam mir so vor, als wäre die Nebelbank näher gekommen. An seinen Enden schien der gewaltige Halbkreis aus wogendem, grauem Nichts bereits die Küste zu berühren.
»Mein Gott, Jake, dann ergibt alles einen Sinn!« keuchte ich. »Dann ist nichts von dem, was hier passiert ist, Zufall!
Dann haben sie auf ihn gewartet!«
»Ich weiß«, flüsterte Becker. »Und Havilland weiß es auch.«
»Wir müssen zurück, Jake!« rief ich. »Sofort! Bevor sie wie-derkommen!«
Becker starrte mich eine Sekunde lang an, denn richtete er sich im Fahrersitz auf und griff nach der altertümlichen Lenkradschaltung des Dodge. Aber er führte die Bewegung nicht zu Ende, sondern starrte aus entsetzt aufgerissenen Augen an mir vorbei.
»Mein Gott!« stöhnte er. »Ich glaube fast, sie sind schon da
…«
Alarmiert sah ich auf und blickte aus zusammengekniffenen Augen in die Richtung, in die Beckers ausgestreckte Hand wies.
Durch den Nebel schimmerte etwas Dunkles, Langgestrecktes. Es war noch immer zu weit entfernt und zu sehr hinter wogenden Schwaden verborgen, als daß wir viel mehr als einen dunklen Schatten ausmachen konnten, doch es handelte sich eindeutig um ein Schiff; ein großes Schiff, sehr viel größer als Crandells Yacht oder irgendein anderes Boot, das man in diesen flachen Gewässern anzutreffen erwartete.
Becker wollte den Wagenschlag öffnen, aber ich hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Warten Sie«, sagte ich.
»Das gefällt mir nicht.«
Aber Becker schien meine Worte gar nicht zu hören. Er schob meine Hand beiseite, langte nach dem Türgriff und zog ihn auf.
»Was haben Sie vor?« rief ich alarmiert. Becker reagierte auch diesmal nicht auf meine Worte, sondern umrundete den Dodge, verließ die Straße und begann mit sonderbar steifen Schritten die Düne hinunterzugehen.
Und das gewaltige Schiff im Nebel kam näher; rasch, sehr viel rascher, als ich bisher geglaubt hatte. Als Becker die Flutlinie erreichte, brach sein Bug aus der Nebelwand hervor.
Ich unterdrückte im letzten Moment einen Schrei. Es war ein Wikingerschiff, genau wie jenes, das Crandell auf den Meeresgrund geschickt hatte!
Der Rumpf war aus Holz gebaut und lag sehr tief im Wasser. Ein zerfetztes, rotweiß gestreiftes Segel hing schlaff von dem einzigen Mast, und weiter zum Heck hin erhob sich eine zeltähnliche Konstruktion aus dem gleichen Stoff. Ein Dutzend verrotteter, zum Teil abgebrochener Ruderblätter ragte zwischen den buntbemalten Rundschilden hervor, die die Reling zu beiden Seiten säumten, und dazwischen bewegten sich Schatten. Der Bug war bis fast zur Höhe des Segels hochgezogen und endete in einem geschnitzten Drachenkopf.
Es dauerte endlose Sekunden, bis ich aus meiner Versteine-rung erwachte. Dann riß ich die Tür auf, sprang aus dem Wagen und rannte ein paar Meter hinter Becker her, blieb aber auf halber Strecke stehen.
»Jake!« brüllte ich verzweifelt. »Kommen Sie zurück!«
Aber Becker hörte nicht. Hoch aufgerichtet und reglos stand er am Strand und starrte dem näher kommenden Drachenboot entgegen. Und dann sah auch ich, was es war, das Becker vor Schreck wie gelähmt hatte …
Unter dem geschnitzten Drachenschädel am Bug des Schiffes war ein menschlicher Körper festgebunden. Wie eine bizarre Galionsfigur bewegte er sich im Takt der Wellen auf und ab. Ich kannte diesen Körper, und auch Becker mußte die zerschlissene Lederjacke, die verwaschenen Jeans und die halbhohen Westernstiefel erkannt haben …
Es war der Körper von Hendrick Crandell!
Becker machte einen Schritt, keuchte hörbar und erstarrte wieder. Das Schiff mit seiner schrecklichen Last kam näher, glitt mit einem lauten Knirschen ein Stück auf den Sandstrand hinauf und blieb liegen, auf die abgebrochenen Ruderblätter gestützt wie auf ein Dutzend bizarrer hölzerner Insektenbeine. Und dann schrie Becker so gellend auf, daß ich wie unter einem Schlag zusammenfuhr: »Robert! Er lebt noch!«
Er hatte recht. Im gleichen Moment, vielleicht auch als Reaktion auf Jakes Stimme, öffnete Crandell mühsam die Augen und stöhnte. Ich sah, wie er die Arme bewegte und vergeblich versuchte, sich aus den Fesseln zu befreien, die ihn wie eine makabre Galionsfigur am Drachenbug des
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