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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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in die Hand. Automatisch griff ich zu.
    »Die Sonne hat den Zenit bereits überschritten«, fuhr Hellmark fort. »Sobald die anderen da sind, brechen wir auf.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Wir haben lange genug gewartet, bei Thor.«

    »Aufbrechen?« murmelte ich. »Ich verstehe nicht …«
    Hellmark lachte dröhnend. »Du wirst es verstehen, Bursche. Es wird Blut fließen, und es wird nicht das unsere sein, mein Wort darauf.« Seine Hand ballte sich zur Faust, so heftig, daß seine Knöchel knackten.
    »Erickson«, murmelte er. »Er wird sterben. Er und viele, viele andere. Hundert Leben für eines, so will es Odins Fluch.«
    »Warte!« sagte ich verzweifelt. Aber es war zu spät. Der Riese fuhr herum und ging aus dem Raum, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen. Als ich eine halbe Sekunde nach ihm durch die Tür stürmte, war der Korridor leer …

    Jake kam mir mit schmerzverzerrtem Gesicht entgegen gehumpelt, als ich die Treppe erreichte. Er blieb stehen, öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut hervor, sondern starrte nur verblüfft zu mir herauf.
    »Wo ist er?« rief ich.
    »Wer?«
    »Hellmark!« antwortete ich ungeduldig. »Er muß hier entlanggekommen sein!«
    »Ich … verstehe nicht ganz«, murmelte Becker. »Von wem reden Sie? Ich …«
    Becker brach ab, schüttelte verwirrt den Kopf und sah mich erneut und durchdringend an. Entweder, dachte ich, er wußte wirklich nichts, oder er war der mit Abstand beste Schauspieler, der mir je untergekommen war.
    »Ich habe Lärm gehört«, sagte er, »und wollte nach dem Rechten sehen. Was ist passiert?«
    Ich schwieg einen Moment. Mein Blick glitt unschlüssig über den leeren Korridor hinter mir. Es gab keinen anderen Weg hier heraus als den über diese Treppe, und Hellmarks Vorsprung hatte weniger als eine Sekunde betragen.
    Ich merkte jetzt erst, daß ich noch immer das Schwert in der einen und den gewaltigen runden Schild in der anderen Hand trug. Kein Wunder, daß Becker mich so seltsam ansah!
    Fast verlegen ließ ich die Waffen sinken, ging langsam die Treppe hinunter und blieb vor Becker stehen. »Ich habe unseren Freund wieder getroffen«, sagte ich. »Hellmark.«
    »Hellmark?« wiederholte Becker.
    »Das ist sein Name«, bestätigte ich. Seine Art, sich dumm-zustellen, begann mir allmählich gehörig auf den Wecker zu gehen. »In diesem Punkt hat sich der Professor gründlich geirrt. Der Tote war nicht Leif Erickson. Im Gegenteil. Und Sie sind sicher, daß er nicht hier entlanggekommen ist?«
    Jake nickte. »Vollkommen«, sagte er. »Aber ich verstehe nicht, was um Himmels willen ist denn nur passiert? Und woher wissen Sie, daß der Tote nicht Erickson ist?«
    »Ich habe mit ihm gesprochen«, sagte ich ruhig. »Und er ist ganz und gar nicht tot, Jake. Aber das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich, nicht wahr? Genauso wie sie längst wußten, daß er Hellmark ist.«
    Becker blickte mich an, und irgend etwas geschah mit seinen Augen. Plötzlich, und nur für eine halbe Sekunde, war etwas in seinem Blick, das mich erschauern ließ. Aber da war es auch schon wieder vorüber, und auf sein Gesicht trat wieder dieser Ausdruck perfekt geschauspielerter Unwissen-heit. »Was ist da oben passiert?« fragte er.
    Ich resignierte. Mit wenigen, knappen Worten erzählte ich ihm, was in Havillands Arbeitszimmer geschehen war. Becker hörte schweigend zu, ohne mich anzusehen, und auch als ich geendet hatte, blickte er nur stumm zur Seite.
    »Erklären Sie mir, was das alles bedeutet«, sagte ich eindringlich. »Sie wissen es!« Irgend etwas muß in meinem Tonfall gewesen sein, was ihn davon überzeugte, daß ich diesmal nicht mehr nachgeben würde. Er wandte den Kopf und blickte mich an, und wieder trat dieser sonderbar beunruhigende Ausdruck in seine Augen. Aber jetzt verschwand er nicht mehr.
    »Ich kann es Ihnen nicht sagen, Robert«, sagte er. »Aber ich stehe auf Ihrer Seite. Glauben Sie mir.«
    »Dann verscheuchen sie dieses … Ding«, sagte ich. »Wer immer Sie sein mögen.«
    »Ich kann es nicht«, antwortete Becker gequält. »Ich … ich bin im Moment so verwundbar wie Sie, Robert. Und er … er gehorcht mir nicht mehr. All dieser Haß muß ihn blind gemacht haben. Er weiß nicht mehr, was er tut.«
    Seine Worte ließen mich innerlich erschauern. Ich war jetzt sicher, daß Jake Becker ganz und gar nicht der harmlose junge Mann war, als den ich ihn kennengelernt hatte. Aber wer war er dann? Die einzige Erklärung, die mir einfiel, war

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