Der Sand der Zeit
zu. Die Schneide drang bis zum Heft in die Brust des Angreifers.
Der Mann erstarrte mitten in der Bewegung, blickte mich aus hervorquellenden Augen an und ließ seine Keule fallen.
Verzweifelt kämpfte ich die schwarze Woge aus Übelkeit und Schwäche, die in mir emporstieg, nieder, befreite auch meinen linken Arm von der Fessel und schob den reglosen Körper des toten Priesters von meinen Beinen. Ein Pfeil zischte wenige Zentimeter an mir vorbei, als ich meine Fußfesseln löste und mich von dem schwarzen Altarstein hinabgleiten ließ. Obwohl der Kampf rings um mich mit gnadenloser Härte weitertobte, nahm ich mir die Zeit, mich rasch umzuse-hen.
Der Opferstein stand im Zentrum einer mächtigen, recht-eckigen Plattform, die die Spitze einer mehr als dreißig Meter hohen, aus schwarzem Basalt errichteten Pyramide bildete. Rings um das phantastische Bauwerk erstreckte sich dichter, im schwachen Licht der Neumondnacht beinahe schwarz erscheinender Dschungel.
Mein Verdacht, mich nicht nur nicht mehr in Santa Maria De La Arenia, sondern nicht einmal mehr in meiner Zeit zu befinden, wurde beinahe zur Gewißheit, als ich sah, daß die Männer, die rings um mich in stummer Wut miteinander kämpften, Indianer waren. Südamerikanische Indianer: schlanke, drahtige Gestalten, nackt bis auf einen Lendenschurz, mit mächtigen, wehenden Federbüschen auf den Köpfen.
Mayas, dachte ich bestürzt. Mayas, Azteken oder Tolteken
, auf jeden Fall aber Angehörige eines Volkes, dessen Niedergang Jahrhunderte zurückliegen sollte. Meine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als ein weiterer Priester keulenschwingend auf mich eindrang. Ich war waffenlos, aber der Priester beging den schwersten, und letzten, Fehler seines Lebens, als er glaubte, leichtes Spiel mit mir zu haben.
Blitzschnell wich ich zur Seite, ließ die Keule an mir vor-beisausen und griff nach dem Handgelenk des Mannes. Ich bekam es zu fassen, verdrehte es mit einem scharfen Ruck und riß das Bein in die Höhe. Der Mann schrie auf, als meine Fußkante sein Ellbogengelenk traf. Ich ließ ihn los, wirbelte einmal um meine Achse und trat mit der ganzen Wucht der Drehung zu. Der Mann taumelte zurück, griff mit hilflos rudernden Armen in die Luft und brach lautlos zusammen.
Ich hielt verzweifelt nach einer Waffe Ausschau. Rings um mich kämpften Dutzende von Männern, die Priester, deren Opfer ich hätte werden sollen, aber auch federgeschmückte Indio-Krieger, die ihnen zu Hilfe geeilt waren und sich kaum von den Angreifern unterschieden. Es fiel mir schwer, Freund und Feind auseinanderzuhalten, falls es sich um Freunde handelte und die anderen Indianer nicht nur gekommen waren, um sich etwa ein Opfer für ihren eigenen Gott zu holen.
Der Kampf verlagerte sich langsam vom Rand der Plattform zu ihrer Mitte hin. Ich wich hastig hinter den Altarstein zurück, bückte mich nach der Keule, die der Priester fallengelassen hatte, und packte die Waffe mit beiden Händen.
Obwohl die Angreifer zahlenmäßig weit unterlegen waren, trieben sie die Priester und ihre Helfer rasch vor sich her. Die kleinen, drahtigen Indio-Krieger kämpften mit verbissener Wut, und sie waren nicht allein.
Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als zwischen den Kriegern drei breitschultrige Gestalten in wehenden Umhängen und schweren Leder- und Metallharnischen auftauchten. Anders als die Indios waren sie nicht nur mit Dolchen und Keulen, sondern auch mit Rundschilden, Schwertern und gefährlichen, zweischneidigen Beilen bewaffnet, und auf ihren Köpfen thronten gewaltige, hörnergekrönte Helme.
Wikinger! dachte ich verblüfft. Die Männer waren leibhaftige Wikinger!
Der Anblick war so bizarr, daß ich für einen Moment fast die Gefahr vergaß, in der ich schwebte. Einer der Priester taumelte auf mich zu. Die Holzmaske vor seinem Gesicht war unter einem Schwerthieb geborsten, Blut lief über sein Gewand und färbte es dunkel. Aber selbst jetzt schien er an nichts anderes denken zu können als an das Opfer, das er seinen Göttern zu bringen hatte. Mit einem gellenden Kampfschrei torkelte er auf mich zu, schwang seinen Knüppel mit beiden Händen und trieb mich vor sich her.
Ich wehrte mich, so gut ich konnte. Aber der Priester schlug wie ein Wahnsinniger um sich, und Kämpfe mit Knüppeln und Keulen gehören nicht unbedingt zu meinen Spezialitäten; Schritt für Schritt wurde ich zurückgedrängt, und schon nach wenigen Augenblicken spürte ich die Kante der Plattform hinter mir. Ich
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