Der Sand der Zeit
blieb stehen, parierte die Hiebe des Angreifers und versuchte zurückzuschlagen, aber der Mann war viel zu schnell. Er durchbrach meine Deckung und traf mich an der Schulter, wo die Obsidiansplitter an der Spitze der Keule einen tiefen, blutenden Schnitt hinterließen. Ich duckte mich instinktiv unter einem mächtigen, beidhändig geführten Hieb hinweg, der mir glatt den Kopf gespalten hätte, hätte er getroffen, und hackte nach den Beinen des Angreifers. Ich traf, aber der Priester schien wie in einem Rausch. Er schrie, wich aber nicht zurück, sondern drang im Gegenteil weiter auf mich ein, hob die Keule hoch über den Kopf und schlug mit aller Gewalt zu. Ich riß verzweifelt meine eigene Waffe hoch und parierte den Hieb, aber die Wucht des Schlages prellte mir meinen Knüppel aus der Hand und warf mich zurück.
Ich fiel, rollte über den harten Stein, und rutschte über die Kante.
Verzweifelt versuchte ich, mich irgendwo festzuklam-mern, aber meine Finger fanden an dem glattgeschliffenen Felsen keinen Halt. Ich stürzte, zwei, drei Yards tief, schlug hart auf und blieb benommen liegen.
Über mir erscholl ein gellender Triumphschrei. Für einen kurzen Moment zeichnete sich der Schatten des Priesters schwarz und drohend gegen den Nachthimmel ab, dann sprang der Indio mit einem federnden Satz zu mir herab, fand mit einer eleganten Bewegung sein Gleichgewicht wieder und holte zu einem vernichtenden Hieb aus.
Etwas Großes, Silbernes zischte wie ein blitzendes Rad an mir vorbei, bohrte sich in die Brust des Maya und schleuderte ihn zurück. Er prallte gegen die Mauer, ließ seine Keule fallen und zerrte mit aller Gewalt am Stiel der Axt, die ihn getroffen hatte. Dann brach er, ganz langsam, in die Knie, kippte zur Seite und verschwand in der Tiefe.
Mühsam richtete ich mich auf die Knie hoch, schüttelte die Benommenheit ab und hielt nach meinem Retter Ausschau.
Der Mann stand direkt hinter mir. Er war ein Riese. Breitschultrig, mit dunklem, bis weit über die Schulter fallendem Haar, das in ungebändigten Locken unter dem Hörnerhelm hervordrängte, Händen wie Schaufeln und einem Gesicht, das sich fast vollständig hinter einem wuchernden roten Bart verbarg, wirkte er wie ein Wesen aus einer fremden Welt, das sich in diese Szene verirrt hatte.
»Das ist kein guter Ort für dich, Junge«, sagte der Wikinger.
Er lächelte flüchtig, zog sein Schwert aus der Scheide und sah nach oben, wo der Kampf zwischen den beiden Indianerstämmen noch immer mit verbissener Wut tobte. »Verschwinde lieber von hier.«
Ich stand unsicher auf. »Wer … bist du?« fragte ich.
»Verschwinde, Kerl«, knurrte der Wikinger. »Ich habe keine Zeit, zu reden.«
»Das sehe ich«, sagte ich. »Vielen Dank für die Hilfe. Wenn du mir eine Waffe gibst, dann revanchiere ich mich.«
Der Wikinger blinzelte, starrte mich einen Herzschlag lang an, als zweifle er ernsthaft an meinem Verstand, und setzte dann zu einem gröhlenden Gelächter an. Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort um, streckte die Arme nach dem Rand der Plattform auf der Pyramidenspitze aus und zog sich mit einer raschen kraftvollen Bewegung hinauf.
Ich sah ihm verstört nach. Vermutlich war es das klügste, wenn ich seinem Rat folgte und von hier verschwand. Ich war unbewaffnet, und es würde nicht immer ein Wikinger bereitstehen, um mir das Leben zu retten …
Ich ließ mich auf die Knie sinken und begann vorsichtig, die mehr als zwei Yards hohen Stufen hinunterzusteigen, aus denen die Pyramide errichtet war.
Ich brauchte fast eine Viertelstunde, um den Fuß der Pyramide zu erreichen. Der Abstieg war gefährlich, und nicht nur oben auf der Plattform tobte der Kampf weiter. Zweimal wurde ich angegriffen, aber jedesmal konnte ich entkommen, einmal schlicht und einfach durch Glück, das andere Mal, weil der Mann offenbar noch nie etwas von asiatischen Selbstverteidi-gungstechniken gehört hatte und meinen Fußkantenschlägen nichts entgegensetzen konnte.
Ich war vollkommen erschöpft, als ich die letzte Stufe hinter mich gebracht hatte und im niedergetrampelten Gras am Fuße des mächtigen Bauwerks stand. Auch hier lagen Tote, aber die Männer waren ausnahmslos durch Pfeile umge-kommen: wahrscheinlich die Wächter, die die Angreifer ausgeschaltet hatten, um unerkannt bis zur Spitze der Pyramide zu gelangen.
Ich blieb stehen und sah mich unschlüssig um. Der Dschungel ragte rings um die Pyramide wie eine kompakte schwarze Mauer in die Höhe, wie eine Wand aus
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