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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schatten, die auch noch das bißchen Sternenlicht verschluckte, das die Neumondnacht aufhellte. Es war unheimlich still, auch der Kampflärm, der mich bis hierher verfolgt hatte, war allmählich abgeebbt. Entweder waren die Angreifer siegreich gewesen und hatten die Priester und ihre Verbündeten getötet, oder sie waren zurückgeschlagen worden, was mir aber angesichts der ungestümen Wut, mit der der Angriff geführt worden war, mehr als unwahrscheinlich vorkam.
    Aber gleich wie, ich mußte hier weg, und ich mußte, was vielleicht noch wichtiger war, Verbündete finden; oder wenigstens jemanden, der nicht mein Feind war. Ich wußte noch immer nicht, wo ich war und was ich hier sollte, aber ich würde auf jeden Fall mit Menschen Kontakt aufnehmen müssen.
    Ich zweifelte mittlerweile daran, daß die Wikinger und die mit ihnen verbündeten Indios den Angriff meinetwegen unternommen hatten. Wahrscheinlich war es ein reiner Zufall gewesen, daß der Überfall genau in dem Moment erfolgt war, in dem der Priester den Dolch zum tödlichen Stoß erhoben hatte.
    Ein dumpfer Aufprall schreckte mich aus meinen Gedanken.
    Ich fuhr herum, sah einen Schatten und spannte mich unwillkürlich. Eine Gestalt war von der untersten Pyrami-denstufe heruntergesprungen und richtete sich jetzt langsam auf. Metall glitzerte im Sternenlicht.
    Aber es war kein Indianer, sondern der Wikinger, dem ich bereits oben auf der Pyramide begegnet war. Ich atmete erleichtert auf.
    »Bist du immer noch hier?« fragte der Mann grob, als ich auf ihn zutrat. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, und statt dessen zog sich eine tiefe, blutende Wunde quer über seine linke Wange bis zum Augenwinkel hinauf.
    »Ich muß mit dir sprechen«, sagte ich.
    »Such dir einen anderen Moment dazu aus«, murrte der Wikinger. »Wir müssen weg. Die Indios sind erledigt, aber dieser Hund Erickson kann jeden Augenblick hier auftauchen. Wenn wir dann noch hier sind, sehen wir uns in Walhalla wieder.« Er rammte sein Schwert in die Scheide, richtete sich auf und sah mich ernst an. »Und das gilt auch für dich.«
    »Aber es ist wichtig!« begehrte ich auf, als der Wikinger an mir vorbei auf den Waldrand zulaufen wollte. Hastig hielt ich ihn am Arm zurück, aber der Riese schlug meine Hand mit einer zornigen Bewegung zur Seite.
    »Bist du von Sinnen, Kerl?« zischte er. »Danke deinen Göttern, daß du nicht mehr auf dem Opferstein liegst, und verschwinde gefälligst!«
    Ich wollte erneut nach seinem Arm greifen, aber der rotbärtige Riese rannte einfach an mir vorbei. Ich zerbiß einen Fluch auf den Lippen, drehte mich herum und folgte ihm.
    Hinter uns tauchten andere Schatten aus der Nacht auf und hetzten auf den Waldrand zu.
    Ich erreichte den Dschungel einen Herzschlag nach dem Wikinger, brach hinter ihm durch das Unterholz und blieb schweratmend neben ihm stehen. Der Wikinger musterte mich finster.
    »Muß ich dich erst niederschlagen, bevor du verschwin-dest?« fragte er. Er ballte die Faust, und ich hatte plötzlich das Gefühl, daß er durchaus bereit war, seine Ankündigung in die Tat umzusetzen. »Das hier ist kein Kinderspielplatz. Wir müssen weg, bevor dieser verräterische Hund auftaucht.«
    »Ich komme mit euch«, sagte ich. »Wir stehen auf der gleichen Seite, Nordmann. Du wirst mich verstehen, wenn du mir einen Augenblick lang zuhörst.«
    Im Gesicht des Wikingers zuckte es, als er die Bezeichnung Nordmann hörte. Es war ein Schuß ins Blaue gewesen, aber ich sah an seiner Reaktion, daß er getroffen hatte. Der Begriff schien in diesem Teil der Welt fremd zu sein. Zumindest hatte ich seine Neugier geweckt. »Ich bringe dir Grüße«, fügte ich hinzu. »Von Hellmark.«
    »Hellmark!« Der Riese erstarrte für zwei, drei Sekunden.

    Dann trat er auf mich zu, packte mich bei der Schulter und riß mich so grob herum, daß ich vor Schmerz aufstöhnte. »Was weißt du von Hellmark?« sagte er. »Sprich!«
    Ich streifte seine Hand mühsam ab. »Ich … erzähle es dir«, sagte ich stockend. »Aber nicht hier. Du hast selbst gesagt,
    wir müssen weg.«
    In den Augen des rotbärtigen Riesen blitzte es amüsiert auf. Aber das Mißtrauen blieb trotzdem darin. »Gut«, sagte er. »Dann begleite uns, in Odins Namen. Aber wenn du mich belogen hast …«
    Er sprach nicht weiter, sondern drehte sich abermals herum und begann rasch in den Busch hineinzulaufen, wobei er mit seinen breiten Schultern und seinem Schild rücksichtslos durch das verfilzte Unterholz brach.

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