Der Sand der Zeit
es ist … gigantisch. Und unheimlich.«
»Unheimlich?«
Lasse nickte. »Ich … weiß nicht, wie ich es beschreiben soll«, gestand er. »Alles ist finster und fremdartig und …«
»So, als wäre es nicht von Menschen gebaut«, half ich ihm aus, als er nicht weitersprach, sondern krampfhaft nach Worten suchte.
Lasse nickte, und auch ich senkte betreten den Blick. Meine Vermutung schien sich zu bestätigen. Aztlan war eine Stadt der Großen Alten. Aber wie um Himmels willen hatte sie fast zweihundert Millionen Jahre lang überstehen können?
Ich verscheuchte diesen und alle anderen unerfreulichen Gedanken und wandte mich mit einem fragenden Blick an Setchatuatuan: »Was geschieht jetzt? Warum haben wir die Höhlen verlassen?«
»Wir treffen uns mit den Häuptlingen von acht Stämmen«, erklärte Setchatuatuan. »Um die Mittagsstunde, nicht sehr weit von hier. Du wirst uns begleiten. Du und,« Er zögerte einen Moment, dann deutete er auf den Jaguar, », er.«
Ich blickte auf das Tier hinab, dann wieder zu Setchatuatuan hoch und versuchte noch einmal, an seine Vernunft zu appellie-ren.
»Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet, Setchatuatuan«, sagte ich. »Bitte glaube mir. Ich bin kein Gott.«
Setchatuatuan starrte mich für die Dauer eines Herzschlages mit ausdruckloser Miene an, dann drehte er sich abrupt um und ging. Lasse Rotbart lachte leise.
»Was ist daran so komisch?« fragte ich ärgerlich.
»Du unterschätzt Setchatuatuan«, antwortete Lasse. »Glaubst du, er weiß das nicht? Aber es ist ihm egal. Es reicht, wenn die anderen glauben, daß die Götter dich geschickt haben. Und das werden sie.«
»Und wenn ich ihnen die Wahrheit sage?«
Lasses Lächeln erlosch übergangslos. »Das wäre sehr dumm, Robert aus Britannien«, antwortete er. »Und gefährlich, nicht nur für dich. Wahrscheinlich würden sie dir nicht glauben. Und wenn doch …« Er machte eine komplizierte Handbewegung an seinem Hals. »Setchatuatuan würde dich eher töten, ehe er zuließe, daß du diesen Angriff verhinderst, glaube mir. Er wartet zu lange auf eine Gelegenheit, die Stämme zu einen und gegen Erickson zu führen. Und nun komm. Der Weg ist nicht sehr weit, aber schwierig.«
Er hatte nicht übertrieben. Wir legten bis zur Mittagsstunde vielleicht fünf Meilen zurück, aber wir marschierten ununterbrochen und dort, wo es ging, in scharfem Tempo. Setchatuatuan und seine Olmeken führten uns quer durch den Dschungel, der stellenweise so dicht war, daß selbst die scharfen Schwerter der Wikinger in dem verwachsenen Unterholz steckenblieben und wir immer wieder zu großen Umwegen gezwungen waren.
Unser Ziel, der Ort, an dem sich Setchatuatuan mit den Führern der ändern Stämme treffen wollte, war ein kahler Felsenhügel, der gut zur Hälfte über das Blätterdach des Dschungels hinausragte und schon von weitem zu sehen war.
Lasse erklärte mir, daß es sich um einen heiligen Ort der Indios handelte, den sie fast so sehr fürchteten wie die Höhlen von Tucan, und je näher wir ihm kamen, desto mehr glaubte ich ihm. Das Gefühl, das der Anblick des Hügels in mir auslöste, ähnelte jenem, unter dem ich in den Höhlen gelitten hatte, doch gleichzeitig war es anders, irgendwie gegenwärtiger, als wäre die Macht, von der ich dort unten nur einen schwachen Hauch gespürt hatte, hier noch lebendig.
Und ich war offensichtlich nicht der einzige, der es fühlte, denn auch Lasse und seine Wikinger wurden zunehmend nervöser, je näher wir dem Felsenhügel kamen. Schließlich blieb auch Setchatuatuan stehen und wechselte ein paar Worte mit dem Wikinger. Lasse blickte während der kurzen Unterre-dung ein paarmal zu mir herüber und nickte, und sein Gesichtsausdruck wurde dabei immer besorgter. Schließlich machte er eine zustimmende Geste, wandte sich um und kam auf mich zu.
»Nun?« sagte ich spitz. »Was hat der große Häuptling entschieden?« Ich ärgerte mich darüber, daß die beiden über mich sprachen, als wäre ich gar nicht da, aber Lasse wischte meinen Einwand mit einer Handbewegung zur Seite.
»Er möchte, daß du zurückbleibst«, sagte er. »Mit Recht, wie ich meine.«
»Hat er Angst, daß ich ihm ins Handwerk pfusche?« fragte ich.
»Auch das«, gestand er freimütig. »Aber er und seine Krieger wollen sich davon überzeugen, daß es keine Falle ist. Also bleib zurück.«
Die letzten Worte hatte er eindeutig als Befehl gemeint, und ich gehorchte. Insgeheim war ich sogar ganz froh. Mich schauderte beim
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