Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
und sie anschließend in einem der Betten im Puppenhaus aufeinandergestapelt hat.
»Wie schön du sie gemacht hast«, sagt Anders.
Agnes dreht sich um, zeigt die Bürste und begegnet für eine Sekunde seinem Blick.
Er setzt sich neben sie und legt den Arm um ihre kleine Schulter. Sie dreht sich langsam weg.
»Jetzt liegen sie da und schlafen zusammen«, sagt Anders fröhlich.
»Nein«, widerspricht sie ihm mit ihrer monotonen Stimme.
»Und was tun sie dann?«
»Sie gucken.«
Sie zeigt auf die lackierten, weit offenen Augen der Puppen.
»Du meinst, dass sie nicht schlafen können, wenn sie gucken, aber man kann ja spielen, dass sie …«
»Sie gucken«, unterbricht sie ihn und beginnt, angstvoll den Kopf zu bewegen.
»Das sehe ich«, erklärt er beruhigend, »aber sie liegen im Bett, wie sie es tun sollen, und das ist doch super …«
»Aua, aua, aua …«
Agnes bewegt ihren Kopf ruckartig hin und her und klatscht schnell drei Mal in die Hände. Anders Rönn hält sie in den Armen, küsst sie behutsam auf den Kopf und flüstert, dass sie die Puppen richtig schön gemacht hat. Am Ende entspannt sich ihr Körper wieder, und sie fängt an, auf dem Fußboden Legosteine aufzureihen.
Es klingelt an der Tür, und Anders Rönn verlässt das Zimmer, schaut aber noch ein letztes Mal zu Agnes hinein, ehe er zur Haustür geht und sie öffnet.
Im Licht der Außenbeleuchtung steht ein großer Mann in einem Anzug mit feuchten Hosenbeinen und einer zerrissenen Tasche. Die Haare des Mannes sind lockig und zerzaust, er hat Lachgrübchen in den Wangen und ernste Augen.
»Anders Rönn?«, sagt er in seinem finnisch angehauchten Schwedisch.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt Anders Rönn neutral.
»Ich bin von der Landeskriminalpolizei«, erwidert Joona und zeigt seinen Dienstausweis. »Darf ich hereinkommen?«
116
Anders Rönn starrt den großen Mann vor seiner Tür an. Vor Angst wird ihm schlagartig eiskalt. Er öffnet die Tür, um seinen Gast hereinzulassen, und während er sich erkundigt, ob der Mann eine Tasse Kaffee möchte, schießen ihm tausend Gedanken durch sein erhitztes Gehirn.
Petra hat in einem Frauenhaus angerufen und alles erzählt.
Brolin hat sich etwas aus den Fingern gesaugt, was man ihm vorwerfen kann.
Es hat sich herausgestellt, dass er überhaupt nicht die nötige Kompetenz besitzt, um in der geschlossenen Abteilung zu arbeiten.
Der großgewachsene Kommissar nennt seinen Namen, lehnt höflich eine Tasse Kaffee ab und setzt sich im Wohnzimmer in einen Sessel. Er wirft dem jungen Arzt einen freundlich forschenden Blick zu, der Anders Rönn das Gefühl gibt, Gast in seinem eigenen Wohnzimmer zu sein.
»Sie vertreten Susanne Hjälm im Sicherheitstrakt«, stellt der Kriminalkommissar fest.
»Das ist richtig«, antwortet Anders Rönn und versucht zu verstehen, worauf der Mann hinauswill.
»Welches Bild haben Sie von Jurek Walter?«
Jurek Walter, denkt der junge Arzt. Geht es etwa nur um Jurek Walter? Er entspannt sich, und es gelingt ihm, in einem trockenen Tonfall zu antworten:
»Ich kann mit Ihnen nicht über einzelne Patienten sprechen.«
»Reden Sie mit ihm?«, fragt der Mann, und seine grauen Augen fixieren den Arzt.
»Wir führen im Sicherheitstrakt keine Gesprächstherapien durch«, antwortet Anders Rönn und streicht sich mit der Hand durch seine kurzen Haare. »Aber die Patienten sprechen natürlich …«
Joona Linna lehnt sich vor:
»Sie wissen, dass das Gericht besondere Restriktionen gegen Jurek Walter verhängt hat, weil er als extrem gefährlich gilt?«
»Ja«, antwortet Anders, »aber letzten Endes bleibt dies immer eine Frage der Interpretation, und als behandelnder Arzt muss ich ständig Restriktionen und die Notwendigkeiten der Behandlung gegeneinander abwägen.«
Der Kriminalkommissar nickt zwei Mal und sagt dann:
»Er hat Sie gebeten, für ihn einen Brief abzuschicken, habe ich Recht?«
Anders verliert für einen kurzen Moment die Fassung, bis ihm wieder einfällt, dass er die Verantwortung trägt und die Entscheidungen über den einzelnen Patienten trifft.
»Ja, ich habe in der Tat einen Brief von ihm abgeschickt«, antwortet er. »Ich fand es für das Vertrauensverhältnis zwischen uns wichtig.«
»Haben Sie den Brief gelesen, bevor Sie ihn abgeschickt haben?«
»Ja, natürlich … er wusste, dass ich das tun würde, das war nichts Besonderes.«
Als sich die Pupillen weiten, verdunkeln sich die grauen Augen des Polizisten.
»Was stand in dem
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