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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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und sagt etwas, was Anders Rönn nicht versteht.
    Er sieht auf die Uhr. Es sind nur noch zwei Stunden, bis das Licht gelöscht wird. Danach wird er My wie am Vortag erlauben, sich eine Weile schlafen zu legen.

146
    Saga tigert durch ihr Zimmer und spürt, wie das kleine Päckchen aus Bernies Zimmer in ihrer Tasche hin und her rutscht. Sie denkt, dass sie sich das Gesicht waschen möchte, kann sich dann aber doch nicht dazu aufraffen. Sie geht zur Tür und versucht, durch das Panzerglas etwas zu sehen, lehnt ihre Stirn gegen die kühle Fläche und schließt die Augen.
    Wenn Felicia tatsächlich in dem Haus hinter der Zementfabrik ist, bin ich morgen frei, ansonsten habe ich noch ein oder zwei Tage vor mir, bis die Lage unhaltbar wird, bis ich den Ausbruch verhindern muss, denkt sie.
    Ihre Gesichtsmuskeln schmerzen – sie hat sich gezwungen, nicht zusammenzubrechen.
    Sie hat den Schmerz nicht an sich herangelassen, nur daran gedacht, ihren Auftrag zu erfüllen.
    Ihr Atem geht wieder schneller, und sie schlägt ihre Stirn leicht gegen die kalte Glasscheibe.
    Ich habe die Situation im Griff, denkt sie. Jurek Walter glaubt, dass er mich kontrolliert, aber ich habe ihn zum Sprechen gebracht. Er benötigt Schlaftabletten, um auszubrechen, aber ich bin in Bernies Zimmer gegangen, habe das Päckchen gefunden und werde es ihm vorenthalten und behaupten, es habe keins gegeben.
    Sie lächelt gestresst in sich hinein. Ihre Handteller sind schweißnass. Solange Jurek glaubt, dass er mich manipuliert, wird er sich selbst Stück für Stück verraten.
    Sie ist davon überzeugt, dass er ihr am nächsten Tag von seinen Fluchtplänen erzählen wird.
    Ich brauche nur noch ein paar Tage und muss Ruhe bewahren, darf ihm nicht noch einmal Einblick in mein Innenleben gewähren.
    Sie begreift nicht, wie ihr das passieren konnte.
    Es war so unfassbar grausam von ihm, ihr zu sagen, sie habe ihre Mutter absichtlich getötet, sie habe sie umbringen wollen.
    Jetzt spürt sie die Tränen in sich aufsteigen. Ihr Hals spannt und schmerzt, sie schluckt und schluckt und spürt den Schweiß, der ihr den Rücken herabläuft.
    Saga schlägt mit den Händen gegen die Tür.
    Sollte ihre Mutter wirklich geglaubt haben …
    Sie fährt herum, packt die Rückenlehne des Plastikstuhls und schlägt ihn gegen das Waschbecken. Der Stuhl fällt ihr hin und poltert über den Boden, aber sie bekommt ihn wieder zu fassen und schleudert ihn gegen die Wand.
    Keuchend setzt sie sich aufs Bett.
    »Ich schaffe das schon«, flüstert sie sich zu.
    Sie spürt, dass sie kurz davor ist, die Kontrolle über die Situation zu verlieren, sie kann ihre Gedanken nicht abstellen. Ihr Gedächtnis zeigt ihr die langen Fransen des Webteppichs, die kleinen Pillen, die feuchten Augen der Mutter, die Tränen auf den Wangen und die Zähne am Rand des Wasserglases, als sie die Tabletten schluckt.
    Saga weiß noch, dass ihre Mutter häufig mit ihr schimpfte, wenn sie ihr sagte, ihr Vater könne nicht kommen, sie erinnert sich, dass ihre Mutter sie zwang, ihn anzurufen, obwohl sie das nicht tun wollte.
    Vielleicht war ich ja wütend auf meine Mutter, denkt sie. Vielleicht hatte ich sie satt.
    Sie steht auf, versucht, sich zu beruhigen, und wiederholt innerlich, dass sie nur getäuscht worden ist.
    Langsam geht sie zum Becken, wäscht sich das Gesicht und benetzt behutsam ihre schmerzenden Augen.
    Sie muss zu sich selbst zurückfinden, muss wieder sie selbst werden. Es kommt ihr so vor, als kletterte sie über die Außenseite ihres Körpers, als könnte sie nicht mehr hineinschlüpfen.
    Vielleicht trägt die Haldol-Spritze das ihre dazu bei, dass sie nicht einfach immer weiter heult.
    Saga legt sich aufs Bett und überlegt, dass sie Bernie Larssons Päckchen verstecken wird, um anschließend Jurek Walter gegenüber zu behaupten, sie habe nichts gefunden. Dann braucht sie den Arzt nicht noch einmal um eine Schlaftablette zu bitten. Sie kann Jurek einfach die Pillen aus Bernies Zimmer geben.
    Eine nach der anderen, eine pro Nacht.
    Saga dreht sich auf die Seite und kehrt der Kamera an der Decke den Rücken zu. Im Schutz ihres Körpers zieht sie das kleine Päckchen heraus und rollt vorsichtig das Toilettenpapier auseinander, bis sie sieht, dass der Inhalt nur aus drei Kaugummis besteht.
    Kaugummis.
    Sie zwingt sich, ruhig zu atmen, lässt den Blick über die Schmutzstriemen an der Wand schweifen und denkt mit seltsamer Klarheit daran, dass sie genau das getan hat, wovor Joona sie so gewarnt

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