Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
dort hunderte kleiner Glasfläschchen auf dem Fußboden stehen. Dunkle Fläschchen mit Gummimembranen.
Sie enthalten Sevofluran, ein sehr wirksames Narkosemittel.
Joona zieht sein Handy heraus, ruft die Leitstelle an und fordert Streifenwagen und einen Krankenwagen an.
Es wird wieder still, und er hört nur noch seine eigenen Atemzüge und den knarrenden Holzboden.
Plötzlich nimmt er aus den Augenwinkeln hinter dem Fenster eine Bewegung wahr, zieht seinen Colt Combat und entsichert ihn blitzschnell, aber da ist niemand, nur loser Schnee, der vom Dach geweht wird.
Er lässt die Pistole wieder sinken.
An der Wand, an der das Bett steht, hängt ein vergilbter Zeitungsausschnitt über den ersten Menschen im Weltraum, den Weltraumrussen, wie die Schlagzeile des Boulevardblattes ihn nennt.
Dies ist der Ort, an dem der Vater sich das Leben nahm.
Joona überlegt, auch die anderen Häuser zu untersuchen, aber dann fällt sein Blick auf eine Luke. Im Holzboden befindet sich eine große Luke. Sie zeichnet sich unter einem schmutzigen Flickenteppich deutlich ab.
Er legt sich vorsichtig hin und presst das Ohr dagegen, aber es dringt kein Geräusch an sein Ohr.
Joona wirft einen Blick zum Fenster, zieht den Teppich fort und klappt die schwere Holzluke hoch.
Aus der Dunkelheit steigt ihm staubiger Sandgeruch in die Nase.
Er beugt sich vor, leuchtet mit der Taschenlampe in die Öffnung und sieht eine steile Betontreppe.
152
Als er in die Dunkelheit hinabsteigt, knistert auf den Treppenstufen Sand unter Joonas Schuhen. Nach neunzehn Stufen gelangt er in einen recht großen Raum aus Beton. Das Licht der Taschenlampe flackert über Wände und Decke. Mitten im Raum steht ein Schemel, und an einer Wand hängt eine Holzfaserplatte mit ein paar Heftzwecken daran und einer leeren Plastikhülle.
Joona wird klar, dass er sich in einem der zahlreichen Schutzräume befinden muss, die während des Kalten Krieges in Schweden gebaut wurden.
Hier unten herrscht eine eigentümliche Stille.
Der Raum läuft spitz zu, und an seinem hinteren Ende sieht man unter der Treppe eine massive Tür.
Dies muss der Ort sein.
Joona sichert seine Waffe und steckt sie weg, um die Hände frei zu haben. Die Stahltür hat Riegel, die mit Hilfe eines Drehrads in der Türmitte mechanisch verschlossen werden.
Er dreht das Rad gegen den Uhrzeigersinn, und es grollt im Metall, als die schweren Riegel aus den Zylindern im Boden herausgleiten.
Die Tür lässt sich nur mit einiger Kraftanstrengung aufziehen, das Metall ist fünfzehn Zentimeter dick.
Er leuchtet in den Schutzraum hinein und sieht eine schmutzige Matratze auf dem Boden liegen, eine Couch und einen Wasserhahn an der Wand.
Es ist niemand zu sehen.
In dem Raum stinkt es nach altem Urin.
Er leuchtet noch einmal die Couch an, nähert sich ihr vorsichtig, lauscht und geht weiter.
Plötzlich hat er das Gefühl, verfolgt zu werden. Er könnte im selben Raum eingesperrt werden wie sie. Blitzschnell dreht er sich um und sieht im gleichen Moment, dass sich die schwere Tür langsam schließt. Es knarrt in den massiven Scharnieren. Er reagiert blitzschnell, wirft sich herum und steckt die Taschenlampe in den Spalt. Die Lampe wird mit einem Knirschen zusammengedrückt, und ihr Glas springt.
Joona stößt die Tür mit der Schulter auf, zieht seine Pistole und tritt in den dunklen Raum hinaus.
Er scheint leer zu sein.
Der Sandmann hat sich seltsam lautlos bewegt.
Eigenartige Lichtformationen flimmern vor seinen Augen, die ungenaue Bilder in der Dunkelheit formen.
Die Taschenlampe glimmt nur noch schwach.
Joona hört nur seine eigenen Schritte und Atemzüge.
Er schaut die Betontreppe zum Haus hinauf. Die Luke zu der Gastarbeiterwohnung steht noch offen.
Er schüttelt die Taschenlampe, aber ihr Licht wird so nur noch schwächer.
Plötzlich hört Joona ein schwaches Klirren, denkt an die Fingerspitzen aus Porzellan, hält instinktiv die Luft an und spürt im selben Augenblick einen kalten Lappen, der ihm auf Mund und Nase gepresst wird.
Joona fährt herum und schlägt zu, aber sein Schlag geht ins Leere und er gerät ins Taumeln.
Er reißt seine Pistole herum, die Mündung scharrt über die Betonwand, aber es ist niemand zu sehen.
Keuchend steht er mit dem Rücken zur Wand und hält die Lampe vor sich in die Dunkelheit gerichtet.
Das Klirren muss von einem der Fläschchen mit dem Narkosemittel gekommen sein, als der Sandmann die schnell verfliegende Flüssigkeit auf den Lappen kippte.
Joona
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