Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
aber nicht sehen, wie schwer sie verletzt ist. Ihre Finger brennen wie Feuer.
Jurek durchsucht die Kleider des Arztes, findet die Schlüssel zur Tür und steckt sie in seine eigene Tasche.
»Möchtest du es sehen, wenn ich ihm den Kopf abreiße?«, fragt er mit einem kurzen Blick auf Saga.
»Bitte tu das nicht … das ist doch nicht nötig, oder?«
»Nichts ist nötig«, erwidert Jurek und packt den Arzt am Hals.
»Warte.«
»Dann warte ich … noch zwei Minuten, aber nur, weil du es bist, meine kleine Polizistin.«
»Was sagst du da?«
»Du hast einen einzigen kleinen Fehler gemacht, als du Bernie nur den kleinen Finger gebrochen hast«, sagt Jurek Walter, während er dem Arzt die Zugangskarte abnimmt.
»Ich wollte ihn langsam umbringen«, behauptet sie, obwohl sie begreift, dass es zwecklos ist.
Jurek gibt dem Arzt noch eine Ohrfeige.
»Ich brauche die beiden Zahlencodes«, sagt er.
»Die Codes«, murmelt der Arzt. »Ich erinnere mich nicht, ich …«
Saga versucht, die anderen Gurte zu lösen, aber die Finger der linken Hand sind so verletzt, dass sie es nicht schafft.
»Wie konntest du das wissen?«, fragt Saga.
»Ich habe dafür gesorgt, dass ein Brief verschickt wurde.«
»Nein«, wimmert der Arzt.
»Ich wollte, dass Mikael Kohler-Frost davonläuft und gefunden wird … weil ich davon ausging, dass die Polizei dann jemanden schicken würde.«
Jurek findet das Handy des Arztes, lässt es zu Boden fallen und tritt es kaputt.
»Aber warum …«
»Ich habe keine Zeit«, unterbricht er sie. »Ich muss jetzt gehen und Joona Linna vernichten.«
Saga sieht, wie Jurek Walter den Arzt aus dem Isolierzimmer führt. Sie hört die Schritte der beiden im Flur. Die Zugangskarte wird durch das Lesegerät gezogen und der Zahlencode eingetippt, dann surrt das Schloss.
158
Joona klingelt an seiner Wohnungstür und lächelt, als er Schritte hört. Das Schloss rasselt, und die Tür geht auf. Joona tritt in den dunklen Flur und zieht die Schuhe aus.
»Du siehst völlig fertig aus«, sagt Disa.
»Halb so wild.«
»Möchtest du was essen? Es ist noch etwas da … ich könnte es dir aufwärmen …«
Joona schüttelt den Kopf und umarmt sie. Er weiß, dass er im Moment zu müde ist, um zu reden, aber später wird er sie bitten, ihre Reise nach Brasilien abzusagen. Sie muss nicht mehr wegfahren.
Sie hilft ihm beim Ausziehen, und Sand rieselt auf den Boden.
»Hast du im Sandkasten gespielt?«, fragt sie ihn lachend.
»Nur ganz kurz«, antwortet er.
Er geht ins Badezimmer und stellt sich unter die Dusche. Sein Körper schmerzt, als das heiße Wasser an ihm herabläuft. Er lehnt sich gegen die Kacheln und spürt, dass seine Muskeln sich langsam entspannen.
Die Hand, in der er die Waffe hielt, als er abdrückte und einen unbewaffneten Mann erschoss, brennt.
Wenn ich mich erst einmal an den Gedanken gewöhnt habe, welche Schuld auf mir lastet, werde ich wieder glücklich sein können, denkt er.
Obwohl Joona wusste, dass der Sandmann tot war, obwohl er gesehen hatte, wie die Kugeln seinen Körper durchschlugen, obwohl er gesehen hatte, dass er in die Kiesgrube gerutscht war wie eine Leiche in ein Massengrab, war er ihm gefolgt. Er ließ sich die steile Böschung herunterrutschen, versuchte zu bremsen, erreichte den Körper, zielte mit der Pistole auf den Hinterkopf des Mannes und tastete mit der anderen Hand am Hals nach seinem Puls. Der Sandmann war tot. Seine Augen hatten ihn nicht getrogen. Die drei Kugeln hatten das Herz des Mannes getroffen.
Der Gedanke, dass er Jurek Walters Komplizen nicht mehr fürchten muss, ist so golden und warm, dass er unwillkürlich aufstöhnt.
Joona trocknet sich ab und putzt sich die Zähne, hält plötzlich jedoch inne und horcht. Es klingt, als würde Disa telefonieren.
Als er ins Schlafzimmer kommt, sieht er, dass sie sich anzieht.
»Was tust du?«, fragt er und legt sich auf das saubere Laken.
»Mein Chef hat gerade angerufen«, sagt sie mit einem müden Lächeln. »Anscheinend wird draußen auf Loudden gerade eine Grube zugeschüttet. Das Erdreich soll dort saniert werden, aber jetzt sieht es ganz so aus, als hätten sie ein altes Brettspiel gefunden … und deshalb muss ich schnell hin und sie aufhalten, denn wenn das wirklich …«
»Geh nicht«, bittet Joona sie und spürt, dass seine Augen vor Müdigkeit brennen.
Disa summt vor sich hin und zieht einen zusammengefalteten Pullover aus der obersten Schublade der Kommode.
»Du füllst meine Schubladen mit
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