Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
auf und geht weiter. Sie passieren acht Wagen, bis sie auf den nächsten roten Container mit der Aufschrift Hamburg Süd stoßen.
Der Lokomotivführer schneidet das Schloss auf, hat aber nicht genug Kraft, den massiven Riegel anzuheben. Er schlägt von unten mit dem Bolzenschneider dagegen, und der Klang von Metall gegen Metall hallt verloren über das Hafengelände.
Joona taumelt und presst den Riegel mit einem scharrenden Geräusch nach oben, woraufhin die große Metalltür aufschwingt.
Disa liegt auf dem rostigen Boden des Containers. Ihr Gesicht ist bleich, und ihre offenen Augen schauen fragend. Sie hat einen Stiefel verloren, und die Haare um ihren Kopf sind steifgefroren.
Disas Mund ist in einem Ausdruck aus Angst und Tränen erstarrt.
An der rechten Seite ihres langen, schlanken Halses ist eine tiefe Stichwunde. Die Blutlache unter ihrem Hals und Nacken ist bereits von einer glänzenden Eisschicht überzogen.
Joona hebt sie behutsam aus dem Container und geht ein paar Schritte.
»Ich weiß, dass du lebst«, sagt er und fällt mit ihr in den Armen auf die Knie.
Blut läuft über seine Hand, aber ihr Herz schlägt nicht mehr. Es ist vorbei, ihr Tod ist unwiderruflich.
»Nicht das«, flüstert Joona an ihrer Wange. »Nicht du …«
Er wiegt sie sachte in den Armen, bemerkt das Auto nicht, das neben ihm hält, und nimmt auch nicht wahr, dass Saga auf ihn zuläuft.
»Unsere Leute sind unterwegs«, ruft sie und kommt näher. »Oh Gott, was hast du getan? Du brauchst Hilfe …«
Saga schreit in ihr Funkgerät und flucht, und Joona hört wie in einem Traum, dass sie den Lokomotivführer zwingt, seine Jacke auszuziehen und ihm um die Schultern zu hängen. Anschließend sinkt sie hinter ihm zu Boden und schlingt die Arme um ihn, während überall auf dem Hafengelände die Sirenen von Streifen- und Krankenwagen ertönen. Rund um den gelben Rettungshubschrauber, der schwankend auf seinen Kufen landet, wird Schnee vom Boden aufgewirbelt. Es knattert ohrenbetäubend, und der Lokomotivführer weicht von dem Mann zurück, der mit der toten Frau im Arm im Schnee sitzt.
Die Rotorblätter drehen sich noch, als die Rettungssanitäter herausspringen und mit flatternden Kleidern zu Joona laufen.
Der Luftzug des Hubschraubers weht Müll vom Erdboden gegen einen hohen Zaun.
Als die Sanitäter Joona zwingen, Disas Leiche loszulassen, ist Joona kurz davor, endgültig das Bewusstsein zu verlieren. Seine Augen sind trüb und seine Hände durch die Unterkühlung schneeweiß. Er spricht wirr und setzt sich zur Wehr, als sie versuchen, ihn hinzulegen.
Als er in den Rettungshubschrauber getragen wird, bricht Saga in Tränen aus. Sie weiß, dass keine Zeit zu verlieren ist.
Das Geräusch der Rotorblätter verändert sich, als der Hubschrauber senkrecht abhebt und in den Windböen schaukelt.
Er kippt ein wenig nach vorn und fliegt in Richtung Stadt.
Während seine Kleider aufgeschnitten werden, sinkt Joona in einen todesähnlichen Dämmerzustand. Seine Augen sind noch offen, aber seine Pupillen haben sich geweitet und sind so starr geworden, dass sie nicht mehr auf Licht reagieren. Er atmet nicht und hat auch keinen Puls mehr.
Als der Hubschrauber auf dem Dach des Karolinska-Krankenhauses landet, ist Joona Linnas Körpertemperatur unter zweiunddreißig Grad gesunken.
168
Die Polizei trifft schnell im Hafen ein, und wenige Minuten später wird bereits nach einem silbergrauen Citroën Evasion gefahndet. Jurek Walters Auto wurde von mehreren Überwachungskameras registriert, als er fünfzehn Minuten vor Disa Helenius auf das Hafengelände fuhr. Auf denselben Überwachungskameras konnte der Wagen auch beobachtet werden, als er das Gelände sieben Minuten nach dem Eintreffen von Joona Linna wieder verließ.
Sämtliche verfügbaren Streifenwagen in Stockholm sowie zwei Eurocopter 135 werden für die Suche eingesetzt, und nur fünfzehn Minuten nach der Herausgabe der Fahndungsmeldung wird das verdächtige Fahrzeug mitten in Stockholm auf der Centralbron gesichtet, bevor es im Söderled-Tunnel verschwindet.
Augenblicklich machen sich Streifenwagen mit flackerndem Blaulicht und Sirenen auf den Weg. An den Ausfahrten werden gerade Straßensperren errichtet, als der Lichtblitz und die Druckwelle einer heftigen Explosion aus der Mündung des Söderled-Tunnels schlagen.
Der tief fliegende Hubschrauber gerät ins Trudeln, und es gelingt dem Piloten nur mit Mühe, den heftigen Luftstoß auszugleichen. Die Druckwelle schleudert
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