Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
schmalen Gang zwischen dunklen Containerstapeln, um zu dem Sattelschlepper zu gelangen, bevor er das Hafengelände verlässt. Weil er kein Gefühl in den Beinen hat, stolpert er, stützt sich irgendwo ab und steigt über einen Schneewall.
Er tritt in das Scheinwerferlicht vor dem Sattelschlepper, der den roten Container mit der Aufschrift Hamburg Süd transportiert.
Der Fahrer steht hinter dem Container und überprüft die Bremslichter, als er Joona näher kommen sieht.
»Haben Sie etwa im Wasser gelegen?«, fragt der Mann und weicht einen Schritt zurück. »Oh Scheiße, Sie werden erfrieren, wenn Sie nicht schnell ins Warme kommen.«
»Öffnen Sie den roten Container«, stammelt Joona. »Ich bin Polizist, ich muss …«
»Das entscheidet der Zoll, ich kann doch nicht einfach so …«
»Landeskriminalpolizei«, schneidet Joona ihm mit schwacher Stimme das Wort ab.
Es fällt ihm schwer, den Blick des Mannes zu erwidern, und er hört selbst, wie unzusammenhängend sich seine Worte anhören, als er versucht, die Befugnisse der Landeskriminalpolizei zu erläutern.
»Aber ich habe ja nicht einmal Schlüssel«, erwidert der Fahrer und sieht ihn freundlich an. »Nur einen Bolzenschneider und …«
»Beeilen Sie sich«, bittet Joona ihn und hustet erschöpft.
Der Fahrer läuft um den Sattelschlepper herum, streckt sich in die Fahrerkabine hinein und sucht hinter dem Beifahrersitz. Als er einen großen Bolzenschneider herausholt, zieht er einen Regenschirm mit hinaus, der in den Schnee fällt.
Joona hämmert gegen den Container und ruft nach Disa.
Der Fahrer kommt zurück. Als er die Schenkel des Bolzenschneiders zusammenpresst, läuft er rot an.
Es knallt, als das Schloss nachgibt.
Die Luke des Containers öffnet sich auf quietschenden Scharnieren. Der gesamte Laderaum ist voller Kartons, die bis zur Decke auf Paletten gestapelt sind.
Ohne ein Wort an den Fahrer zu richten, nimmt Joona den Bolzenschneider und geht weiter. Er friert so sehr, dass er am ganzen Leib zittert, und hat furchtbare Schmerzen in den Händen.
»Sie müssen ins Krankenhaus«, ruft der Mann ihm hinterher.
167
Joona hastet zu den Eisenbahngleisen. Der schwere Bolzenschneider schlägt in kompakte Schneewälle, die Erschütterungen spürt er bis in die Schulter. Der Güterzug neben dem Lagergebäude hat sich gerade in Bewegung gesetzt und kommt quietschend und schwerfällig ins Rollen. Joona versucht zu laufen, aber sein Herz schlägt gleichzeitig so langsam, dass es in seiner Brust brennt. Er klettert den verschneiten Bahndamm hoch, rutscht aus und schlägt mit dem Knie in den Kies, lässt den Bolzenschneider fallen, rappelt sich wieder auf und stolpert aufs Gleis. Mittlerweile spürt er weder seine Hände noch seine Füße, zittert unkontrolliert und friert so, dass ihn eine beängstigende Verwirrung zu übermannen droht.
Seine Gedanken sind seltsam verlangsamt und unzusammenhängend. Er weiß nur, dass er den Zug stoppen muss.
Der schwere Zug hat Fahrt aufgenommen und nähert sich kreischend. Joona steht mitten auf dem Gleis, hebt den Blick zu den Scheinwerfern und fordert den Lokomotivführer mit erhobener Hand zum Anhalten auf. Der Zug hupt, und Joona sieht die Silhouette des Lokomotivführers. Joona zieht seine Pistole und schießt die Windschutzscheibe der Lokomotive ein.
Glassplitter wirbeln durch die Luft. Das Echo des Knalls hallt schnell und hart zwischen den aufgeladenen Containern.
Papier flattert durch die Fahrerkabine, und das Gesicht des Fahrers ist zu einer Maske erstarrt. Joona hebt erneut die Pistole und zielt auf ihn. Der Zug bremst krachend, die Räder rutschen über die Schienen, und die Erde bebt. Die Lokomotive schiebt sich mit kreischenden Bremsen voran und kommt nur drei Meter vor ihm zum Stehen.
Joona fällt fast hin, als er von den Schienen hinuntergeht. Er hebt den Bolzenschneider auf und wendet sich an den Lokomotivführer.
»Öffnen Sie die roten Container«, sagt er.
»Es tut mir leid, aber ich bin nicht befugt …«
»Tun Sie es einfach«, ruft Joona und wirft den Bolzenschneider auf die Erde. Der Lokomotivführer klettert herunter und hebt den Bolzenschneider auf. Joona folgt ihm und zeigt auf den ersten roten Container. Wortlos klettert der Man auf die rostbraune Kupplung zwischen den Wagen und bricht das Schloss auf. Als die Tür aufgeht, poltert es, und Fernsehapparate in großen Kartons fallen heraus.
»Der nächste«, flüstert Joona.
Er verliert seine Pistole, hebt sie aus dem Schnee
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