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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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Jurek Walter mit gesenktem Kopf auf einem Stuhl saß. Vor ihm standen sein Rechtsbeistand und zwei weitere Wärter.
    »Ich bin gekommen, um Ihnen zuzuhören«, erklärte Joona, als er eintrat.
    Es wurde still, und nach einer Weile wechselte Jurek Walter einige Worte mit seinem Verteidiger. Er sprach mit leiser Stimme und schaute nicht auf, als er seinen Anwalt bat zu gehen.
    »Ihr könnt draußen warten«, sagte Joona zu den Wärtern.
    Als er mit Jurek Walter in dem Vernehmungszimmer allein war, holte er sich einen Stuhl und setzte sich so nahe vor den Mann, dass ihm sein Schweißgeruch in die Nase stieg.
    Jurek Walter saß mit hängendem Kopf regungslos auf seinem Stuhl.
    »Ihr Verteidiger meint, Sie hätten sich im Lill Jans-Wald befunden, um die Frau zu befreien«, sagte Joona neutral.
    Jurek Walter blieb etwa zwei Minuten völlig reglos sitzen, wobei er den Blick auf den Boden gerichtet hielt, bis er sich ohne die kleinste Bewegung zu Wort meldete:
    »Ich rede zu viel.«
    »Die Wahrheit reicht völlig«, sagte Joona.
    »Für mich spielt es keine Rolle, ob ich unschuldig verurteilt werde«, entgegnete Jurek.
    »Sie werden eingesperrt.«
    Jurek Walter wandte sein Gesicht Joona zu und sagte nachdenklich:
    »Es ist lange her, dass das Leben aus mir verschwand. Es gibt nichts, wovor ich Angst habe. Nicht vor Schmerz … auch nicht vor Einsamkeit oder Langeweile.«
    »Aber ich suche nach der Wahrheit«, erwiderte Joona bewusst naiv.
    »Das ist nutzlos. Für sie gilt das Gleiche wie für Gerechtigkeit oder Götter. Man sucht sie sich je nach Bedarf.«
    »Es sind die Lügen, die man nicht wählen kann«, sagte Joona.
    Jurek Walters Pupillen zogen sich zusammen.
    »In der Gerichtsverhandlung wird man die Darstellung meiner Taten durch den Staatsanwalt als über jeden Zweifel erhaben betrachten«, sagte er ohne den Hauch eines Flehens in der Stimme.
    »Und das halten Sie für falsch?«
    »Ich werde mich nicht mit irgendwelchen Spitzfindigkeiten aufhalten, weil es im Grunde dasselbe ist, ob man ein Grab aushebt oder es wieder zuschüttet.«
    Als Joona an diesem Tag das Vernehmungszimmer verließ, war er noch überzeugter als zuvor, dass Jurek Walter ein extrem gefährlicher Mensch war, aber gleichzeitig ging ihm die Möglichkeit nicht aus dem Kopf, dass er anzudeuten versucht hatte, dass er die Strafe eines anderen auf sich nahm. Natürlich war ihm bewusst, dass es Jurek Walters Absicht gewesen sein mochte, Zweifel zu schüren, aber andererseits konnte er auch nicht die Augen davor verschließen, dass die Anklage in der Tat alles andere als hieb- und stichfest war.

26
    Am Tag vor der Verhandlung waren Joona, Summa und Lumi bei Samuel und seiner Familie zum Essen eingeladen. Zu Beginn des Essens hatte die Sonne noch durch die Leinenvorhänge hereingeschienen, aber mittlerweile war es Abend geworden. Rebecka zündete eine Kerze auf dem Tisch an und blies das Streichholz aus. Ihr Licht flackerte über ihre glänzenden Augen mit der seltsamen Pupille. Sie hatte ihnen irgendwann einmal erklärt, dass man dies Dyskorie nenne und es nicht gefährlich sei, sie sehe mit dem Auge genauso gut wie mit dem anderen.
    Die ruhige Mahlzeit wurde mit einem dunklen Honigkuchen abgeschlossen, und anschließend durfte Joona sich für das Tischgebet Birkat Hamason eine Kippa leihen.
    Es war das letzte Mal, dass er Samuels Familie sah.
    Wohlerzogen spielten die Jungen eine Zeitlang mit der kleinen Lumi, bevor Joshua sich in ein Computerspiel vertiefte und Ruben in seinem Zimmer verschwand, um Klarinette zu üben.
    Rebecka ging auf der Rückseite des Hauses ins Freie und rauchte eine Zigarette, und Summa leistete ihr mit einem Weinglas in der Hand Gesellschaft.
    Joona und Samuel räumten den Tisch ab und begannen sofort, über die Arbeit und den Prozess am nächsten Tag zu sprechen.
    »Ich werde nicht da sein«, bemerkte Samuel ernst. »Ich weiß nicht, ich habe keine Angst oder so, aber es kommt mir vor, als würde meine Seele beschmutzt … als würde sie mit jeder Sekunde in seiner Nähe schmutziger.«
    »Ich bin mir sicher, dass er schuldig ist«, sagte Joona.
    »Aber?«
    »Ich glaube, dass er einen Komplizen hat.«
    Samuel seufzte und stellte die Teller ins Spülbecken.
    »Wir haben einen Serienmörder gestoppt«, sagte er. »Einen irren Einzeltäter, der …«
    »Als wir zu dem Grab kamen, war er nicht allein«, unterbrach Joona ihn.
    »Doch, das war er«, widersprach Samuel lächelnd und begann, Essensreste abzuspülen.
    »Es ist nicht

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