Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)
Klopfen.
»All right«, sagt er keuchend.
Im bleichen Licht der Kamera sieht er, dass sich ein Mann am Dachbalken erhängt hat. Es muss sehr lange her sein, dass er sich das Leben nahm. Der Körper ist dürr, die Haut ist runzlig geworden und hat sich auf dem Gesicht gestrafft. Sein Mund ist weit aufgerissen und schwarz. Die beiden Lederstiefel liegen auf dem Fußboden.
Die Tür hinter dem Polizisten knarrt ein wenig, als Gunnar wieder hereinkommt.
Die Sonne ist hinter den Baumwipfeln verschwunden, und die Fenster sind schwarz. Vorsichtig legen sie einen Leichensack aus Plastik unter dem Körper aus. Wieder schlägt der Zweig gegen das Fensterblech und scharrt über die Scheibe.
Roger beugt sich vor, um die Leiche zu halten, während Gunnar das Seil kappt, aber sobald er den erhängten Mann berührt, löst sich der Kopf vom Hals, und der Körper fällt ihnen vor die Füße. Der Schädel plumpst auf den Dielenboden, wieder wird Staub aufgewirbelt, und die alte Schlinge schaukelt lautlos hin und her.
81
Saga sitzt im Transporter und schaut aus dem Fenster. Die Kettenglieder der Handschellen klirren im Rhythmus der Fahrbewegungen.
Sie hatte nicht an Jurek Walter denken wollen. Seit sie den Auftrag angenommen hat, ist es ihr tatsächlich gelungen, ihr Wissen über seine Morde von sich fernzuhalten.
Nun ist das jedoch nicht mehr möglich. Die monotone Zeit im Krankenhaus Karsudden ist vorbei, und sie wird verlegt. Endlich ist sie unterwegs zum Sicherheitstrakt des Löwenströmschen Krankenhauses.
Die Begegnung mit Jurek Walter rückt näher.
Vor ihrem inneren Auge sieht sie deutlich das Foto, das in seinem Dossier ganz oben lag: das faltige Gesicht und die hellen, klaren Augen.
Jurek Walter arbeitete als Mechaniker und führte bis zu seiner Verhaftung ein zurückgezogenes und einsames Leben. In seiner Wohnung gab es nichts, was sich mit den Verbrechen in Verbindung bringen ließ, dennoch wurde er auf frischer Tat ertappt.
Als Saga die Berichte las und die Fotos von den Fundorten betrachtete, war ihr der Schweiß ausgebrochen. Auf einer großen Farbaufnahme sah sie die nummerierten Schilder der Kriminaltechniker auf einer Lichtung mit feuchter Erde rund um ein Grab und einen geöffneten Sarg.
Nils Åhlén hatte die Verletzungen der Frau dokumentiert, die zwei Jahre lang in dem Grab beerdigt gewesen war.
Saga ist von der Autofahrt ein wenig schlecht, und sie schaut auf die Straße und die Bäume hinaus, die vorüberflimmern. Sie denkt an die Unterernährung der Frau, an die wundgelegenen Stellen, die Erfrierungen und ihre Zahnlosigkeit. Joona hatte mit angesehen, wie die magere und geschwächte Frau immer wieder versucht hatte, aus dem Sarg herauszukommen, nur um von Jurek Walter wieder hineingedrückt zu werden.
Saga weiß, dass sie lieber nicht daran denken sollte.
In ihr regt sich Sorge. Sie sagt sich, dass sie unter gar keinen Umständen Angst bekommen darf. Sie hat die Situation unter Kontrolle.
Das Auto wird langsamer, und die Handschellen klirren.
Sowohl die Plastiktonne als auch der Sarg waren mit Luftrohren ausgestattet gewesen, die aus der Erde herausführten.
Warum kann er sie nicht sofort töten?
Sie versteht es nicht.
Saga geht in Gedanken Mikael Kohler-Frosts Zeugenaussage über seine Gefangenschaft in der Kapsel durch, und ihr Herz schlägt schneller, als sie daran denkt, dass Felicia, das kleine Mädchen mit dem filzigen Zopf und dem Reithelm, einsam zurückgeblieben ist.
Es schneit zwar nicht mehr, aber von der Sonne ist nichts zu sehen. Der Himmel ist noch immer dicht verhangen und blind. Der Transporter biegt von der alten Landstraße ab und rollt auf das Krankenhausgelände.
In einer überdachten Bushaltestelle sitzt eine etwa vierzigjährige Frau mit zwei Plastiktüten in den Händen und raucht hungrige Lungenzüge.
Eine geschlossene Abteilung kann einem Regierungsbeschluss zufolge als Sicherheitstrakt eingerichtet werden, aber Saga weiß, dass der Wortlaut des Gesetzes den Anstalten in der Praxis viel Gestaltungsspielraum lässt.
Normale Gesetze und Rechte enden hinter ihren verschlossenen Türen. Es gibt keinen echten Einblick in die Verhältnisse vor Ort und keine Kontrollmechanismen. Solange keiner der Patienten ausbricht, ist das Personal König über einen eigenen Hades.
82
Als Saga von zwei bewaffneten Wärtern durch einen leeren Korridor geführt wird, trägt sie immer noch Handschellen und Fußfesseln. Die Männer gehen schnell und halten sie an den Oberarmen
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