Der Sandner und die Ringgeister
schiebt die Hände in die Taschen seines Sweatshirts.
Die Wiesner nimmt noch einen Zug.
»Die Janine, hast du die eigentlich oft besucht?«
»Im Heim schon, manchmal auch in der Stadt, aber bei den komischen Typen nicht mehr, das waren Pisser.«
»Pisser?«
»Na ja, voll auf – tu dies nicht und tu das nicht, immer nur gelabert, blablabla. Loser eben.«
»Und die Janine?«
»Für die waren das auch Pisser. Aber die wär nicht weg, ohne mir was zu sagen, die wär nicht einfach so weg.«
Die Wiesner schaut ihm ins Gesicht.
Sein Blick geht zum Boden.
»Ohne den Kleinen, den hat die voll lieb gehabt, und ohne mich«, murmelt er.
»Danke, Pascal, das war’s schon.«
Er blickt auf, die Stirn in Falten.
»Suchen Sie die Janine noch?«
Sie seufzt, inhaliert dann tief. Keine Antwort gibt es, die passt.
»Wir suchen den Mörder vom Dennis, und es gibt eine Vermisstenstelle, die kümmert sich um die Janine.«
»Ach Scheiß drauf, das ist jetzt ein Jahr her, das geht denen doch am Arsch vorbei!«
»Und bei dir? Wie ist es daheim?« Falsche Frage, das merkt sie gleich. Der Körper des Jungen versteift sich.
»Was soll’n das jetzt? Passt schon – mich kriegt niemand ins Heim oder so. Das könnt ihr knicken. Scheiße!«
Er dreht sich um. Sein Kopf wirkt winzig zwischen den hochgezogenen Schultern, als er zurück zu den anderen schlürft.
Dieses Mal kutschiert der Sandner betulich durch Harlaching. Quasi lustwandeln mit Auto. Nicht zu langsam, sonst tät ihm das Hupkonzert der Ungnädigen die Ohren durchblasen, der Posaunenchor vom jüngsten motorisierten Gericht – demnach angepasste Geschwindigkeit. Seit einem halben Jahr plagt er sich mit der Entscheidung herum, ob er sich einen neuen Wagen anschaffen sollte. Die TÜV-Prüfung für seinen betagten CX hatte sich als Demütigung herausgestellt. Du bringst deinen polierten Schatz daher und schleichst dich mit einer Tonne Alteisen vom Acker. Wenn er so dahinfahren kann, könnte er gleich morgen zum Autotandler. Bei jedem Stau bläst es den Entschluss davon, wie Feinstaub aus dem Auspuff.
Momentan bedauert er es, schon am Ziel zu sein. Die letzten Meter legt er zu Fuß zurück. Er schlendert entlang einer staden Nebenstraße, gerade einmal eine bessere Zufahrt, gesäumt von einzelnen Häusern. Hingepflanzt, das traute Heim, akkurat mitten in die Parzelle, scheinbar vom Legobaukasten abgekupfert, eins ums andere. Gereihte Autos am Straßenrand wie schwarze Perlen, Achtung-Kinder-Papperl auf schnuckeligen Zweitwagen. Pu der Bär als Sonnenrollomotiv. Dazwischen deutsche Modelle der gehobenen Mittelklasse, gleich ihren tüchtigen Fahrern hinter den wärmeisolierten Fassaden.
Der Sandner ist allein unterwegs. Ein Auto überholt ihn, verschwindet um die Ecke. Unwillkürlich geht er schneller.
Friedhofsruhe. Die Straße dämmert vor sich hin, schläft den Schlaf der Gerechten, bis sie geweckt wird, hochrumpelt, Schlag halb sieben in der Früh. Spielzeug und winzige Radln auf den Rasenflächen, da kommt nichts weg hinter den Zäunen – kleinstädtische Oase, happy Village.
Hinter einer akkurat getrimmten und frisierten Hecke verbirgt sich das Eigenheim der Familie Fendt.
Mit der Corina hat sich der Sandner so ein Häuschen angeschaut, damals war sie im dritten Monat schwanger. Ganz in der Nähe muss das gewesen sein. Für zwei Familien aufgeteilt, plus Student in der Mansarde. Gut gefallen hätte ihm das schon, ein Gärtchen, da hat er sich schon mitsamt Baby in der Hängematte lümmeln sehen, und der Amselchor singt ein Lied dazu.
»Sie sollten natürlich mit der Hausgemeinschaft noch den Gartenanteil absprechen und was an Arbeiten zu tun ist. Da werden Sie sich bestimmt einig, die sind unkompliziert«, hatte der Makler beiläufig angemerkt.
Da ist der grüne Traum geplatzt, für den Sandner. Ein markierter Gartenanteil, eingeschlagene Grenzpfähle, Hecken schneiden am Wochenende, und wenn du mal rumflackst mit Rotweinglas, dolce vita und trallala, geben Herr und Frau Unkompliziert justament ein Grillfest, oder der Laubsauger röhrt durch die Botanik. Da brauchst du Sonderausstattung, charakterlich. Nachgiebige Geselligkeit, gepaart mit pedantischem Lupenblick für die umfangreichen Erfordernisse einer Grünanlage. All das ist dem Sandner damals so klar vor Augen gestanden, dass er sich seiner mangelhaften Integrationsfähigkeit schuldhaft bewusst geworden ist, angesichts Corinas Begeisterung. Eine Einsiedlermentalität könnte er sich mit seinem Gehalt
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