Der Sandner und die Ringgeister
Dienstgebäude.
»Dankschön«, sagt sie artig, steigt aus und kommt sich gleich unglaublich blöd vor. Eine Wut kriegt sie auf den Sandner, sie ist die Kommissarin Wiesner und kein Püppchen, das einen Helden braucht, der es beschirmt. Gar nicht einlassen hätte sie sich sollen, auf den Schmarrn. Seine Besorgnis hätte er getrost in der Steinzeit lassen können, der depperte Chauvi. Gott im Himmel! Und ihren Autoschlüssel soll sie sich wahrscheinlich auf Knien erflehen.
»Immer wieder gern«, brummelt der Tarzan. Er bleibt sitzen und kramt im Handschuhfach, sie nimmt den Weg zu ihrem Büro.
Dem Sandner ist, sagen wir in polizeilicher Hinsicht, das androzentristische Weltbild fremd. Er täte sich ermittlungstechnisch arg reduziert fühlen, und fad wär’s obendrein, wenn in seiner Truppe keine Frauen mithirnen würden. Pragmatisch hat er sich gedacht, irgendwie muss die Sandra ja hinkommen, zu Fetzners Behausung. Die kurze Reaktionszeit bei einem Befragten bekommst du quasi mit drohend erhobenem Faustkeil (die Wiesner tät ihn Tarzan nennen) als Dreingabe gratis.
Während der Herr Fendt seine Bestürzung über den Mord gestenreich kundtut, geht seinem Gast der »Pisser« nicht aus dem Kopf.
Das Wohnzimmer ist Bavarian Landhausstil. Massive verschnörkelte Möbel der gehobenen Preisklasse, die Glaseinsätze der Vitrinen streifenfrei gewienert, sandfarbene Wände nebst Eichenparkett. Kein Stäubchen weit und breit, auf der Anrichte ein Handsauger im Ladegerät. Ansonsten ist sie mit Bildern überladen, die üblichen »Zeig-die-Zähne-Schnappschüsse« vor idyllischem Grün, alternativ dekorativen Gemäuern. Der fendtsche Stammbaum, teils in vergilbtem Schwarz-Weiß, blickt hochmütig auf den kümmerlichen Sandner hinab, weil der tief ins Polster eingesunken ist. Plüschig-braune Treibsandcouch. Ein junges Madl kann er nirgends ausmachen, abgesehen von den Hochzeitsbildern der Hauseigentümer. Allerdings scheint der Kevin öfter verewigt samt Pflegeeltern.
Der Fendt wirft immer wieder einen nervösen Blick zur Tür, offenbar zieht sich die Versorgung von Kevin noch hin. Ohne bessere Hälfte scheint er sich mental reduziert vorzukommen.
»Haben Sie den ... Vater gekannt?«
»Wir haben ihn ein, zwei Mal gesehen. Sagen Sie, wie ist das denn passiert?«
»Wie ist was passiert?« Auftritt Frau Fendt.
Der Sandner braucht fünf Sekunden, dann weiß er, dass er sich wappnen muss, gegen den Ansturm.
Da muss er durchschnaufen, die Arme verschränken, damit sie nicht durchdringt zu ihm. Das Sofa unterstützt ihn, so gut es eben kann.
Die Frau Fendt hätte eindeutig das Zeug dazu, ihn in einen Wasserkocher zu verwandeln, und ohne Vorsichtsmaßnahmen würde er alsbald munter vor sich hin brodeln. Zwei, drei klagevolle Sätze aus ihrem Mund würden genügen, um den Drang aufsteigen zu lassen, sich zu rechtfertigen, für Handeln, Aussehen, Existenz und Geburt. Ich kann doch auch nichts dafür, würde wie ein Mantra in seinem Kopf kreisen.
Natürlich ein Fass ohne Boden, beistehen soll man, das ist ihrer Miene zu entnehmen, dabei wird das Knochenmark herauszuzelt, ohne Erbarmen.
Man könnte nicht ohne Grund behaupten, dem Sandner fehlt, grob geschätzt, acht Jahre Analyse vom Feinsten. Gefühlter Einfluss der Urgroßmutter, pränatale Traumata, Kastrationsangst und Pipapo – Routine für den Fachmann, aber ihm langt’s, wenn das Alarmlämpchen blinkt im Hirn.
»Das ist ja entsetzlich!«
Der Sandner nickt, ihm beginnen die Ohren zu glühen, und für die Frau ist der Ausruf das Zeichen, ihren Gatten zu umhalsen. Dramatische Szene. Sollte er die nächste Frage stellen, wenn sie sich wieder entwirrt haben? Er wendet sich an die fendtsche Symbiose.
»Hat der Dennis Kontakt gehabt zu Ihnen, vor allem in letzter Zeit?«
Die beiden lösen sich voneinander und nehmen aufrechte Haltung an. Weich sehen sie aus und üppig, die Konturen verwischt und aufgequollen, wie die Teigmännlein zum Nikolaus. Zuckerguss magst du drüberbazen und ihnen Rosinen andrücken, an den beigen Cord und die blau-weißen Streifenpolos.
Der Sandner muss sich zusammenreißen und den Proletarier in sich niederringen.
Einen blonden Pagenkopf hat die Frau Fendt, große Augen starren ihn an.
»Er hat den Kevin nie sehen wollen, die Janine auch nicht. Kalt war der, eiskalt«, urteilt die Frau.
Wo sie in der Mordnacht gewesen wären, will der Sandner wissen, reine Routinefrage.
»Daheim, wir sind beide Samstagabend nicht weg gewesen, ist ja immer
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