Der Sandner und die Ringgeister
gegen die Tür oder an ein Heizungsrohr. Aber schlagens kein Loch rein. Vermisst Sie eigentlich Ihre Frau nicht?«
Sie lassen die Verschlüsse aufploppen. Der Sandner setzt die Flasche an.
»Die nimmt immer Tabletten – schläft wie eine Tote.«
Das Bier ist warm und hat einen seltsamen Beigeschmack. Alles hier hat einen seltsamen Beigeschmack. Wahrscheinlich würde in einem Kellerloch, interniert mit dem Lehnharter, selbst ein dreißig Jahre alter Merlot schmecken, als würde er ihn aus dem miefenden Turnschuh eines Pubertierenden schlürfen. Er nimmt noch einen Zug, weil eh schon wurscht, hört zu, wie der Hauswart auf die Tür einprügelt. Immer wieder, pang, pang, pang. Dorad sind sie, die Nachbarn, allen voran die Imhofer, eine Qualle ist ein Dreck dagegen. Dem Sandner ist es augenblicklich völlig gleich, wer sie da weggesperrt hat. Darum wird er sich kümmern, wenn er endlich wieder draußen ist. Die Dunkelheit schleicht sich in sein Hirn. Alles Schwarz. Pang, pang, pang.
Langsam gewöhnt er sich an das Bier.
Der Lechner würde sich wundern, wenn er am Morgen sein Radl holen wollte. Immer um Viertel vor acht. Die Selbstdisziplin hat nicht nachgelassen, im Pensionistenalter, für den ehemaligen Lehrer. Immerhin, um Viertel vor acht wäre es spätestens vorbei.
Jetzt ist es vielleicht elf. Pang, pang, pang. Neun Stunden im Kellerloch. Schöne Aussicht! Langsam hat der Sandner das Gefühl, als tät sich sein Hirn im Nebel verstecken, die Gedanken lassen sich gar nicht mehr finden, oder sie führen in ein waberndes Labyrinth, wo er sich nimmer auskennt. Ein Fadenknäuel bräuchte er oder Brotkrumen. Pang, pang, pang.
Er setzt sich auf den Betonboden und wundert sich, wer seinen Beinen den Befehl gegeben hat. Der Kopf sinkt ihm auf die Brust. Zu dösen fängt er an. Pang, pang, pang.
Irgendwann später reißt ihn die aufgeregte Stimme vom Lehnharter aus der Lethargie. Er richtet sich mühsam auf.
»Herr Sandner, da ist wer!«
»Wer?«, will er fragen, das Wort kommt partout nicht raus. Dafür denkt er es ziemlich lange. Wer ist da?
Unvermittelt steht der Lehnharter in der offenen Tür, der Gang wird von einem Lichtstrahl beleuchtet.
Der Sandner zieht die Augen zusammen und schlürft zum Ausgang.
Da ist die Imhofer. Sie schaut nur, sagt kein Wort. Mit ihren schwarzen Knopfaugen, dem schwarzen Kleid und ihrer kleinen, gebückten Hexengestalt passt sie akkurat zum Kellergewölbe. Erschrocken wirkt sie. Starrt ihn an, das Bier in seiner Hand.
»Frau Imhofer«, will er rufen oder denkt es nur? Hat er überhaupt die Lippen bewegt? Schweigend dreht sie sich um und huscht die Treppen wieder hinauf. Schwarzer Geist.
»Komplett damisch ist die«, hört er den Lehnharter schimpfen, wie vom anderen Ende einer Halle, »durchdraht, die alte Hex. Redet eh bloß mit ihrer Katz. Vielleicht hat die uns aus Versehen eingesperrt. Tät mich nicht wundern. Kommens, Herr Sandner – geht’s Ihnen nicht gut?«
Der Sandner weiß nicht, wie es ihm geht. Er tappt am Lehnharter vorbei, Stufe für Stufe aufwärts, Fuß für Fuß, mit dem letzten Rest Willen. Eine Herkulesaufgabe. Seinen Namen hört er durch den Hausgang schallen – zwei Treppen noch, dann hat er es geschafft.
Wenn du die Augen aufschlägst, dich nicht rühren kannst und in das konzentrierte Gesicht eines Rechtsmediziners schaust, ist das ein denkwürdiger Moment. So hat sich der Sandner den Tod beileibe nicht vorgestellt.
»Josef, wach auf!«, bellt eine Stimme. Eine Mischung aus Ärger und Sorge.
Auf seiner Couch liegt er, drapiert auf dem Bauch sein Telefon, die Hände geklammert um ein leeres Glas. Noch immer rührt er sich nicht.
»Wie spät ist es?«, krächzt er schließlich. Sein Mund ist die Wüste Gobi, die Arme zentnerschwer.
»Halb acht. Erst hab ich den Schlüssel rauskramen müssen, können wir froh sein, dass du mir den einmal gegeben hast – und die Heidrun hat gemeint, du bist eh bloß besoffen.«
»Was?« Ganz langsam richtet der Hauptkommissar sich auf.
»Verreck. Hab ich einen Schädel.«
»Der Bischoff Kare hat mich angerufen, der hat sich Sorgen gemacht. Vor zwei Stunden hat er bei dir durchgeläutet, wegen zwei Mordverdächtigen, die sich gestellt hätten, und du hast ihm nur was vom Bier vorgelallt.«
»Ich? Einen Schmarrn verzapft der.«
»Also, pack ma’s, steh auf.«
»Wir müssen gleich in den Keller, da steht noch das Bier. Da stimmt was ned.«
»Fängst wieder an – für mich tut es Kaffee auch.«
»Ah geh.«
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