Der Sandner und die Ringgeister
Mathematikstunde. Prägende Erfahrung.
Der Pythagoras und seine Spezln sind nicht über dich gekommen wie feurig-zärtliche Liebhaber, denen du die Arme sehnend entgegenreckst. Nix da – die haben unentwegt und gnadenlos penetriert, mitten rein ins Hirn und ohne Gummi.
So fühlt sich der Sandner. Es ist ihm, als tät er die Welt, wie einstmals die Großmutter, mittels des betagten Nordmende Fernsehempfängers beglotzen. Flimmerndes Bild und der Ton in Monoqualität.
»Als hätt mich wer ins Hirn gfickt, so a mieses Gefühl.«
Die subtile Seite vom Sandner ist noch im Tiefschlaf.
»Erst steh ich die Brudermühlstraße runter im Stau und jetzt wieder raufwärts. Das, Sandner, ist ein mieses Gefühl.«
Der Aschenbrenner wohnt in Sendling beim Westpark. Ein kleines Häusl hat er da, das Geburtshaus von der Frau. Vier Zimmer, Speis und Dachboden. Eine schöne Ecke, der Westpark, fünftausend Bäume umringen ein paar kleine, entengespickte Gewässer. Besonders mag der Sandner die Pagode und den chinesischen Garten. Im Sommer allerdings mutiert das Grün zum riesigen Open-Air-Grill, da könntest du die Emissionswerte von Peking toppen.
»Wieso hast du nix gsagt, vom Wellness-Urlaub?«
»Hast keine anderen Sorgen? Des war ganz spontan. Eine Freundin von der Heidrun ist krank geworden, die hat mit ihrem Mann reserviert gehabt. So simmer einfach mal hin.«
»Und?«
Der Aschenbrenner zuckt die Achseln.
»Was willst wissen? Könnte man öfter machen – war schon nett – und entspannend allerweil. A schönes Zimmer, das Essen akzeptabel und diese Moorlandschaft – beeindruckend, das hat was. Und wenn du ankommst, kriegst du gleich einen schneeweißen Bademantel in die Hand gedrückt.«
»Wie im Prospekt – das steht dir sicher gut – Frottee. Den Doktor Schädlinger brauch ich trotzdem nicht zwingend wieder.«
»Baumwollvelours heißt das, bittschön. So vermisst ihr mich wenigstens. Der Bischoff hat es mir schon erzählt. Heute Nachmittag sind wir schon schlauer wegen deiner Friedhofsleich.«
Und nicht nur wegen der, denkt sich der Sandner.
»Na, hoffentlich.«
»Geh, so ein Depp!« Der Aschenbrenner wollte gerade beschleunigen, muss aber abrupt auf die Bremse steigen, als ihn ein Lieferwagen schneidet.
Dem Ermittler fallen die Augen zu.
»Hoffentlich«, murmelt er noch. Er döst dahin, bis sie in der Hansastraße ankommen. Vom Doktor wird er wachge-rüttelt.
»Du hast noch fünf Minuten, schick dich.«
Dankbar ist der Hauptkommissar um den groben Ton. Mitgefühl und Besorgnis könnte er nicht mit hochschleppen ins Büro, wo sie alle erwartungsvoll glotzen würden, als brächte der Kellner die Vorspeisensurprise fürs Hochzeitsbüfett. Er weiß, dass der Aschenbrenner sich Gedanken macht. Seit fünfundzwanzig Jahren kennen sie sich. Da kannst du natürlich im Gesicht vom anderen lesen wie vom Teleprompter. Aber Fragen kann er nicht gebrauchen, weil er selber gern Antworten wüsste.
Der Lehnharter hat sich Feinde gemacht. Schön langsam wird am Eskalationsrädchen gedreht – und nun ist es eine persönliche Sache. Sandners persönliche Sache. Ins Vertrauen ziehen will er niemanden. Ein Hauptkommissar der Kripo, der so deppert ist, sich vom Hauswart ein vergiftetes Bier andrehen zu lassen – da hätte er in puncto Lächerlichkeit für lange Zeit eine Gutschrift auf dem Konto. Er konnte es sich ausmalen, das Feixen – schauts her, da kommt das Schneewittchen von K11. Eine blödere Masche musst du lange suchen, passend gestrickt für den Lehnharter.
Er ließe sich nicht ungestraft die halbe Nacht in ein muffiges Kellerloch sperren und am Ende sedieren. Da hat jemand die Realität mit billigem Kino durcheinandergeschmissen. Den Regisseur würde er abfieseln und das Drehbuch um die Ohren hauen – frei nach dem Talionsprinzip. Der hätte sich überlegen sollen, wen er zum Darsteller macht. Böser Fehler! Wie er darüber nachdenkt, treibt es seinen Blutdruck gleich in ungeahnte Höhen. Hilfreich, um den Tag durchzustehen, da bringt ihn die Wut als Krücke ordentlich voran.
Mit geballten Fäusten stapft er die Treppen hinauf.
Dem Sandner wünschte man eine alternative Quelle, aus der er Energie generieren kann, sonst liefe er Gefahr, zum notorischen Grantler zu mutieren.
Dass just in diesem Moment der Staatsanwalt auf ihn zukommt und sich vor ihm aufbaut, ist diesbezüglich kontraproduktiv. Ein Gefühl, als wäre er auf der Autobahn mit einem Geisterfahrer konfrontiert. Da wirst du blass.
Die
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