Der Sandner und die Ringgeister
bei den Briefkästen lurt die Rindsbacher gewöhnlich auf arglose Opfer, denen sie ihre Meinung um die Ohren hauen kann, gleich einem nassen Putzlumpen. Auskommen möcht sie vielleicht, wenn die Stille ihr die Brust zusammendrückt, dass sie nicht mehr schnaufen kann und weil der eigene Mann sie nicht einmal mehr kennt. Mit dem Auskommen hat es auch der Sandner, damit er nicht damisch wird. Meistens hetzt er wortlos die Stiegen hinauf. Eingehüllt vom Wörterschwarm, wie der Honigdieb von kampfeslustigen Bienen. Tür zu und »pfüat di Gott«.
Aktuell stellt er sich die Frage, ob er mit Scheuklappen herumgelaufen ist. Heute Nacht allerdings ... Die Ohrwascheln würde er der Bagage langziehen, sodass sie im Hasenstall nicht auffallen täte.
Wie er beim Lechner läutet, passiert erst einmal nichts. Damit hat er gerechnet. Es wird niemand mehr erwartet. Er lässt den Finger stoisch auf dem Klingelknopf. Verstärkend patscht er mit der flachen Hand aufs Holz. Einen Spalt geht die Tür auf. Ein Gesicht erscheint.
»Herr Sandner, was möchten Sie denn um die Zeit?« Unwirsch klingt der Pensionist.
»Erst einmal reinkommen.«
Schrecken löst er aus, nervös fuhrwerken die dürren Ärmchen vom Nachbarn in der Luft herum.
»Nein, nein, das geht nicht.« Er macht Anstalten, die Tür wieder zu schließen.
Der Sandner schiebt einen Fuß in den Spalt.
»Das geht.« Er zieht die Augenbrauen zusammen. »Wenns mich nicht reinlassen, Lechner, lass ich Sie wegsperren wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung«, droht er. »Dann übernachtens in der Ettstraße.«
Die Luft hat er ihm rausgelassen, dem Physiklehrer. Er fällt in sich zusammen. Ratlos, was er tun soll. Ausgespielt.
Der Sandner drängt sich an ihm vorbei in die Wohnung. Besorgtes Tuscheln vom Wohnzimmer her. Im Türrahmen lehnt, mit verschränkten Armen, die Imhofer.
»Ah, da schau her, der Herr Kriminaler, tretens näher«, fordert sie ihn auf. Eine rauchige, tiefe Stimme hat sie, gleich einer alternden Diva. Der Sandner kann sich nicht entsinnen, sie überhaupt schon einmal gehört zu haben. Ihr intensiver Blick durchdringt ihn, prickelt auf der Haut. Hexenaura.
Das Wohnzimmer vom Lechner misst vielleicht fünfzehn Quadratmeter. Gemütliches Interieur, naturbelassene Hölzer. Großversammlung. Mit dem Wohnungseigentümer zählt er neun Verschwörer. Fast die gesamte Hausgemeinschaft.
»Sie haben mir eine Falle gestellt«, empört sich der Lehrer von der Tür aus.
»Ich hab mir halt gedacht, da wird der Lechner sich heut beraten müssen.« Der Sandner ist ein bisschen stolz. Das Gefühl vergeht ihm, wie er in die bockigen Gesichter schaut.
»Ich sag Ihnen, was ich weiß, und Sie ergänzen den Rest, meine Herrschaften.«
Betretenes Schweigen, trotzige Blicke. Krimiatmosphäre. In Schwarz-Weiß. Der Ermittler, zwischen den Verdächtigen umhergehend und Mutmaßungen anstellend. Mit Pfeife im Mund wäre es Nachkriegskino. Der Breitwieser vom ersten Stock, das Ehepaar Albin, die zwei Pauli-Geschwister, beide über siebzig, und das Mädel mit Baby auf dem Arm.
Alle in Schwarz, die verhinderten Assassinen aus der Lohstraße. Die Nacht scheint sie herausgerissen zu haben aus ihrem Dasein. Gestalt hat sie ihnen verliehen, sie verschmolzen zu einem Wesen. Jungbrunnen. Das gemeinsame Ziel hat den Neun Flügel wachsen lassen.
Der Sandner hat vor, sie ihnen gewaltig zu stutzen. Er kennt sie kaum wieder. Durchatmen. Nicht beeindrucken lassen.
»Oiso, Sie, Herr Lechner ham dem Lehnharter den gekragelten Hahn vor die Tür gschmissen. Den hams von Ihrem Bruder aus dem schönen Frankenland geholt. Die Frau Imhofer hat mich mit dem Unglückseligen drunten eingesperrt. Dem Lehnharter seinen Keller habts vorher aufgebrochen, und die Rindsbacher hat Tropfen für ihren Mann abgezweigt und ins Bier neigeschüttet. Beweisen kann ich nix, aber ich glaub, so war es. Wer ihm den Spruch an die Tür geschmiert hat, weiß ich ned, aber getan habts des alles, weil der Lehnharter seine Frau gar so herschindet. Und jetzt seids ihr dran. Was habts ihr noch vorgehabt?«
Der Sandner schaut dem alten Breitwieser ins Gesicht. Tierpräparator war der gewesen. Das hätte noch gefehlt im Programm, dass sie den Lehnharter ausstopfen täten. Schauts her, ein Problemtroll.
An Sannes zehntem Geburtstag ist der Breitwieser mit einem Präsentpackerl angekommen, das Madl hätte beinahe der Schlag getroffen. Ein Wiesel kam zum Vorschein, fein präpariert, mit
Weitere Kostenlose Bücher