Der sanfte Kuss des Todes
Sekretärin Myrna hatte wissen lassen, dass sie Brady nicht bei der Polizei in Graingerville befragen könnte. Er ließ wirklich keine Gelegenheit aus, Jack ans Bein zu pinkeln.
Daher machte sie sich auf den Weg zu Brady nach Hause. Sie hatte Jack versprochen, vorsichtig zu sein, und vermutete, dass es als vorsichtig durchging, wenn sie die Befragung in Anwesenheit eines Deputys des Sheriffs durchführte.
Als Fiona vorfuhr, saß der Deputy in seinem Streifenwagen vor Bradys Haus. Er war in die Lektüre einer Zeitschrift versunken und hob nur kurz die Hand, als Fiona aus ihrem Auto stieg und zur Haustür ging.
»Tolle Bewachung«, schimpfte sie leise und drückte auf die Klingel.
Als niemand zur Tür kam, versuchte sie es noch einmal. Und ein drittes Mal. Schließlich ging sie zu dem Streifenwagen und klopfte gegen die Scheibe der Fahrertür.
Der Mann sah erschreckt von seiner Sportzeitschrift, einer Sondernummer für Bademoden, auf, und ließ das Fenster herunter.
»Tut mir leid, Sie zu stören«, sagte sie mit zuckersüßer Stimme, »aber Sie wissen nicht zufällig, wo sich unser Zeuge im Moment aufhält?«
Er runzelte die Stirn. »Die Mutter ist weggegangen. Sagte, sie käme sonst zu spät zur Arbeit.«
»Und Brady? Sie wissen, dass der Junge und nicht die Mutter als Zeuge aussagen muss, wenn die Sache vor Gericht kommt, oder? Sie sollten eigentlich auf ihn aufpassen.«
Der Deputy funkelte sie an. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Ich bin Polizeizeichnerin und bin hier, um mit Brady zu sprechen.«
Er stieß die Tür auf, stieg aus und ging zum Haus. Ohne zu klopfen trat er ein. Rasch durchsuchte er die wenigen Zimmer, dann kehrte er zur Haustür zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Gerade eben war er noch da.«
Wütend nahm Fiona ihr Handy aus der Tasche und rief Santos an.
»Ich bin’s, Fiona«, sagte sie, ging in die Küche und öffnete die Hintertür. Sie sah zu Bradys Baumhaus, nichts. »Der Zeuge ist weg.«
»Was soll das heißen, weg?«
»Ich bin gerade in Bradys Haus, weil ich mit ihm reden wollte. Er hat mich heute Nachmittag angerufen und gesagt, dass er sich an das Auto erinnert und dass ich kommen soll, damit wir zusammen eine Zeichnung davon anfertigen können. Und jetzt ist er verschwunden, quasi vor der Nase des Sheriffs.«
Santos zischte etwas auf Spanisch, das nicht besonders freundlich klang. »Was ist mit seiner Mutter?«
»Der Deputy hier meint, dass sie in die Arbeit gefahren ist. Sie arbeitet bei Dunkin’ Donuts. Die Sache gefällt mir nicht. Jemand sollte bei Lucy vorbeischauen.« Fiona bemerkte den Abdruck eines Fahrradreifens auf der hinteren Veranda. Vielleicht war Brady ja mit seinem Fahrrad unterwegs, was wenigstens bedeuten würde, dass er sich aus freien Stücken aus dem Staub gemacht hatte.
»Er ist schon einmal verschwunden«, sagte Fiona. »Aber ich bin trotzdem in Sorge. Wir müssen ihn finden.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Santos und legte auf.
Fiona ging schnell durchs Haus, vielleicht hatte der Deputy ja etwas übersehen. Aber keine Spur von Brady,
allerdings lagen auf seinem Bett ein paar der Papierstreifen, in die man Münzen wickelte, daneben einige fertige Rollen und eine einzelne Sportsocke. Die zweite konnte sie nicht entdecken.
Als sie wieder vor das Haus trat, sah sie den Deputy gegen sein Auto gelehnt dastehen und mit dem Handy telefonieren. Im gleichen Moment fuhr ein schwarzer Geländewagen vor. Randy Rudd in seiner ganzen Schmerbauch-Pracht stieg aus und watschelte mit aufgebrachter Miene auf seinen Deputy zu. Fiona trat zur Seite und tat so, als würde sie nichts mitbekommen. Sie wartete, bis der Sheriff den Mann zusammengestaucht hatte.
Schließlich bemerkte Randy sie. Es dauerte einen Moment, bis er seinen Blick von ihren Brüsten losreißen konnte, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Und Sie sind?«
»Fiona Glass. Polizeizeichnerin. Ich habe mit Ihrem Kollegen gesprochen.«
Sein Blick wanderte wieder nach unten und Fiona verschränkte ihre Arme. Sie wusste schon, warum sie immer Anzüge trug.
»Sein Fahrrad ist verschwunden«, sagte sie kurz angebunden. »Wir sollten seine Mutter anrufen, vielleicht kann sie uns ja sagen, wo er sich gerne herumtreibt. Und wenn sie es nicht weiß, kann sie uns vielleicht den Namen eines seiner Freunde nennen, der es wissen könnte.«
Der Sheriff nickte. »Danke für den Ratschlag, Ma’am, aber wir haben alles im Griff.« Er wandte sich an seinen Deputy. »Du klapperst sämtliche Spielplätze
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