Der sanfte Kuss des Todes
gegenüber.
Die Frau blickte kurz Fiona an, dann richtete sie ihre braunen Augen auf Jack.
»Ihr seid zu früh«, sagte sie kühl.
»Macht das etwas?«
»Wenn, dann ließe es sich auch nicht mehr ändern, oder?«
Die beiden starrten sich an, und Fiona fühlte sich auf einmal völlig fehl am Platz. In diesem kurzen Wortwechsel schwang etwas mit, das sie nicht ganz verstand, aber sie konnte sich wohl kaum danach erkundigen.
Das Baby wand sich in den Armen der Frau und unterbrach das Schweigen mit seinem Brabbeln.
Die Frau wandte sich wieder Fiona zu. Sie musterte sie von Kopf bis Fuß, dann machte sie einen Schritt zurück und bedeutete ihr mit einem Nicken, ihr zu folgen.
Betreten schweigend standen sie einen Augenblick in der Diele, bevor Jack sich räusperte: »Das ist Fiona Glass, Lucy, die Zeichnerin, von der ich dir erzählt habe.«
Lucy schob sich das Baby vor die Brust, so dass es ihr unmöglich war, Fiona die Hand zu schütteln. Fiona war geübt darin, Körpersprache zu lesen, und die von Lucy ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Lucy drehte sich um und ging weiter ins Haus. Jack folgte ihr, er schien zu wissen, wo es hinging.
Fiona schob den Schulterriemen ihrer Tasche höher und ging den beiden hinterher.
Warum war es so wichtig, dass »die Männer« nicht zu Hause waren? Wer lebte hier noch außer Lucy und dem Baby, und inwiefern konnten sie diesem Treffen im Wege stehen? Wieder stieg Frustration in Fiona auf. Es passte ihr nicht, dass Jack ihr so viele Informationen vorenthielt.
Sie betraten schließlich einen großen hellen Raum im hinteren Teil des Hauses. Es war offensichtlich ein Anbau, der als Werkstatt oder Atelier diente. In einer Ecke stand eine große Nähmaschine. Ein glänzender weißer Stoff ergoss sich über den Tisch auf den Teppich. Dahinter lagen in einem tiefen Regal Ballen mit verschiedenen Stoffen in
Weiß, Elfenbein und mehreren Pastelltönen. In der Mitte des Raums stand ein riesiger furnierter Tisch, auf dem Plastiktabletts mit den verschiedensten Perlen und Pailletten nebeneinander aufgereiht waren.
»Sebastian schläft«, sagte Lucy und setzte das Baby in ein Laufgitter neben der Nähmaschine.
Keiner hielt sich damit auf, Fiona den Namen des Kindes zu nennen, das einen lavendelfarbenen Fleece-Strampler und eine passende Mütze trug. Kaum hatte Lucy es hingesetzt, griff es nach einem Beißring und steckte ihn in den Mund. Es musste etwa neun Monate alt sein, überlegte Fiona, und betrachtete es, wie es da inmitten seiner Spielzeuge saß. Ein hübsches und lebhaftes Kind mit großen Augen.
»Jack!«
Fiona drehte sich um und sah, wie ein dunkelhaariger, kleiner Junge in das Zimmer stürmte. Er warf sich gegen Jacks Beine und umklammerte sie.
»Na, Sportsfreund?« Jack wuschelte durch seine Haare. »Ich dachte, du schläfst!«
Der Junge packte Jacks Hand und zog daran. »Willst du mein Nintendo DS sehen? Ich hab’s zu Weihnachten gekriegt!« Er musste etwa vier oder fünf Jahre alt sein und blickte mit unverkennbarer Bewunderung zu Jack hoch.
»Toll«, sagte Jack und sah Lucy an. »Wo ist Dolores?«
»Arbeiten. Wie die anderen auch.« Lucy drehte sich zu Fiona und sprach sie zum ersten Mal direkt an. »Ich gehe davon aus, dass Sie das unter vier Augen machen wollen.«
»Das ist meistens das Beste.«
»Dann kann Jack inzwischen auf Sebastian aufpassen.« Sie deutete mit dem Kopf auf den Laufstall. »Vanessa wird uns nicht stören.«
Jack nutzte die Gelegenheit und verließ mit Sebastian
den Raum, bevor ihn Fiona zur Seite nehmen und ein paar Dinge mit ihm klären konnte.
Zum Beispiel, warum sich Lucy ihr gegenüber so feindselig verhielt?
Fiona wandte sich Lucy zu. Sie waren ungefähr gleich alt, nur zog Lucy sich sehr viel jugendlicher an. Sie hatte enge, ausgefranste Jeans und ein graues T-Shirt an, das sich über ihrem großen Busen spannte. Außerdem trug sie ein halbes Dutzend Silberringe in ihrem linken Ohr, einen silbernen Kettengürtel und silberne Ballerinas. Ihre glatten Haare reichten ihr bis zur Taille, und Fiona fragte sich, was sie beim Nähen damit machte, damit sie ihr nicht im Weg waren.
Vorausgesetzt, sie war diejenige, die in dieser Werkstatt arbeitete.
»Sind Sie Modedesignerin?«, fragte Fiona und sah sich um.
Lucy neigte den Kopf und musterte sie einen Moment, dann sagte sie: »Näherin.«
»Aber Sie machen offenbar eigene Entwürfe.« Fiona betrachtete die Zeichnungen, die fein säuberlich neben einer Schachtel mit
Weitere Kostenlose Bücher