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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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seit deiner Geburt mit dir herum?! – Nein, was seid ihr für Schweine!«
    Durch Daûds Körper ging der Jähzorn wie ein heißer Stich. Percy merkte jedoch ebensowenig wie vorhin, welche Gefühle er auslöste, sondern fuhr ehrlich entrüstet fort:
    »Gegen den Bösen Blick! Als ob es so was gäbe! Schneid' dir das ab, oder ich bin das letztemal mit dir geritten.« Hierauf setzte er sich wieder, aber diesmal mit dem Rücken gegen Daûd.
    Nach einer Weile hörte er einen seltsamen Ton und drehte sich um. Daûd saß in einem Winkel wie ein Tier, den schwarzen, staubigen Kopf zwischen den schlotternden Ärmeln vergraben, und schluchzte mit den leidvollsten Nasaltönen, die ein tiefer Schmerz zu erzeugen vermag. Indigniert stand Percy auf und ging, die Hände in den Taschen, an ihm vorbei, worauf er zwischen den Säulenresten verschwand.
    Daûd schluchzte noch eine Weile für sich. Da aber geschah etwas, was ihn in dem Genusse seines Schmerzes störte, denn er hörte, wie aus weiter Entfernung, einen lauten Schrei.
    Aufgepeitscht sprang er auf und rannte nach der Richtung des Schreies. Er sah sich ratlos um und merkte, daß die Stimme aus der Tiefe kam, aus einem Schacht, den die Ausgrabungskommission in der Kapelle der Sechmet, der katzenköpfigen Göttin, gewühlt. Dies Ungeheuer aus Rosengranit saß zähnefletschend ineinem finsteren Tabernakel und fraß Kinder. Neulich erst hatte es zwei kleine Jungen gefressen, Steinarbeitersöhne, samt ihren Bastkörben, in denen sie Sand heraufzutragen hatten. Es kostete den zitternden Daûd eine gewaltige Überwindung, sich in die Nähe des dunklen Loches zu wagen. Da aber der entsetzte Schrei Percys unablässig aus der Unterwelt stieg, schlich er zögernd heran. Doch er tat es erst, als er sich vergewissert hatte, daß sein Arsenal an Schutzmitteln vollzählig vorhanden sei.
    Percy steckte dort unten, halb verschüttet durch eiligen, tückischen Sand. Über ihm saß die unbarmherzige Mörderin. Ihr Raubtierkopf wuchs, die Ausdünstung des neuen Opfers in ehern-bestialischer Lüsternheit emporsaugend, aus der Finsternis, und der Blick aus ihren pupillenlosen Steinaugen war starr auf Daûd gerichtet. Daûd schloß die Augen und legte sich im Gefühl seiner Immunität mit schüchterner Keckheit auf den Bauch, während er mit der Hand umherirrte, die Percy endlich erfassen konnte. Kaum hatte Percy sich emporgewunden, als ein leises Knirschen dadrinnen entstand, als ob schwere Zähne sich unmutig aneinander wetzten: ein Quader, der Sandstütze beraubt, kam ins Gleiten und stürzte mit einem schauerlichleisen, schurrenden Geräusch ab.
    Er stürzte auf eben die Stelle, die Percy kaum verlassen hatte.
    Nun stand er blaß, aber gefaßt, vor seinem Retter. Endlich sagte er: »Danke.«»Allah kerîm!« erwiderte Daûd, »du bist gerettet.« Er rührte fromm an Stirn, Herz und Augen.
    Percy reinigte sich, blickte sich um und sagte: »Es war nicht angenehm. Ich werde meinem Vater erzählen, daß du dich gut benommen hast. Jetzt wollen wir weg.« – –
    Der Esel stand vor dem Pylon und rupfte Gras. Percy schwang sich hinauf, und Daûd, in schärfstem Trab, rannte wiederum hinter ihm drein. Und während er rannte, wand sich, ihm selbst befremdlich, eine tückische Frage an ihn heran: eine Frage, die sich insgeheim an ihn hängte wie eine Sandviper an den Hals eines Hasen: »Warum habe ich – warum habe ich nicht ...« Das Ende dieser Frage, das peinigende Ende, trat ihm nicht ins Bewußtsein, und die Viper, ohne ihr tödliches Gift in der kaum vernarbten Wunde zu hinterlassen, fiel machtlos von ihm ab wie ein allzu matt geschleuderter Pfeil am Ende seiner Flugbahn.
    In der Folgezeit ergab es sich, daß Daûd den Vater seines neuen Freundes kennenlernte. Der Honorable J. W. Aldridge tauchte eines Tages in der Glasdrehtür des Hotels auf, kam elastisch herab und honorierte den Liebesdienst an seinem Sohn durch eine gewichtige Dosis Masperozigaretten in einer handlichen Blechbüchse zu hundert Stück, somit durch eine Welt von unbezahlbarem Genuß. Denn solche Zigaretten wurden, wie Daûd von seinen neidischen Genossen erfuhr, in Kairo das Stück zu zwei Millièmes bezahlt. Die Gabewar demnach fürstlich und der Gelegenheit durchaus entsprechend. Daûd vertilgte das preiswerte Geschenk mit Muße und unter schönen, beziehungsvollen Träumereien – hervorzuheben ist, daß er bei dieser Beschäftigung nicht allein blieb, sondern seinem Vater kindlich generös einen Pflichtteil

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