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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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so sage ich euch jetzt ein letztes Mal: ›,Mein Vater und meine Mutter!‹, – Und ihr sprecht ein letztes Mal zu mir: ›,Sohn! Sohn!‹, – Und meine Seele ist von dem Wunsche geplagt...« Daûd sprach immer geläufiger – »euch in Worten auszusprechen, daß ich euch danke für Nahrung, Abwendung des Bösen Blicks, Ratschlag und Dach, darunter ich schlief. Seid alsdann im Schutze Gottes und denkt bisweilen meiner! Und vergesset nicht, um die Wende jedes Monats ein Scherflein für mich niederzulegen am Grab unseres Schêschs, der das Dorf behütet, und dem Gott gnädig sei!«Diese Rede war so mundgerecht als möglich gesetzt, und an ihrem Inhalt blieb dem Pärchen kein Zweifel. Zabal hatte einige mürrische Zwischenrufe getan, und als er begriffen hatte, daß es Daûds feste Absicht sei, zu scheiden, ward er zunächst rechtschaffen wütend. Er kaute die Spitzen seines struppigen Schnurrbarts, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer übelwollenden Grimasse. Seine Stimmung färbte sich auf Umm-Dabbûs ab, die so heftig an ihrer Zigarette sog, daß das Feuer an dem Papier herunterrann und einen Nebel erzeugte, der für Sekunden eine hellblaue Scheidewand zwischen den Alten und dem Knaben errichtete.
    Daûd starrte in die hellblaue Scheidewand, nahm dann eine straffere Positur ein und blickte zur Decke empor. Als sein Blick zurückkehrte, war der Rauch verflogen; und Daûd erschrak aufs tiefste, plötzlich von einem seltsamen Gedanken getroffen.
    War dies vor langer Zeit vielleicht glatte, nun aber von Schlägen und Feldstrapazen zermürbte, kümmerliche und sklavische Weib überhaupt seine Mutter?
    War dieser knochige, ungeschlachte, kindliche Tolpatsch, dieser dumpfe Bauer, der den Wortlaut keines Gesetzes kannte, und den er damals, als er sein Geld entdeckt sah, in einfältigem, niedrigem Geiz hatte aufheulen hören, sein leiblicher Vater?
    Kurz, waren diese tierhaft stierenden, schmutzig schwarzbraunen Gesichter, die sich erbost vorbeugten, überhaupt die seiner Eltern?Und jenes Gewürm dort in der Ecke, jener boshafte Halbaffe, jener Krüppel mit dem Geist einer tollen Katze – war das sein leiblicher Bruder?
    In diesem Augenblick seltsamen Hellsehens betrachtete sich Daûd mit einem ruhig abschätzenden Blick ohne jede Eitelkeit. Er sah das gefällige Ebenmaß der eigenen hellfarbenen Glieder, die verwöhnte glatte Haut an Beinen und Armen, die nach Verzärtelung verlangte; sah seinen bescheidenen Kleiderprunk, fühlte den Tarbusch auf dem Haupt und gedachte der seidenen Troddel, die an ihm baumelte... und dann ließ er den Blick noch einmal prüfend zu seiner Familie herüberschweifen. In diesem Blick dämmerte eine unsagbare Geringschätzung auf: dieselbe, die ihn schon flüchtig angewandelt, als er mit der »Tewfik« fuhr und der Umm-Dabbûs gedenken mußte... Zabal spürte das nicht, sondern ergriff das Wort und schnaufte dabei wie die Gamusah, wenn man sie über ihre Kräfte stachelte:
    »Daß du mit jenen Ungläubigen nach Kairo gehen willst, mißfällt uns sehr. Wenn du dich störrisch zeigen willst, hindern wir dich nicht, denn das Sprichwort sagt: Das sind keine rechten Väter, die von ihren Kindern nicht bisweilen am Barte gerissen werden. Aber dein Verdienst fällt fort und das Labsal, das du uns zuwendetest, die Schmausereien, die wir dir verdankten, das kleine Glück unserer Tage, die karge Ersparnis, gesichert vom fressenden Zins: das ist alles weg und dahin, wenn du davongehst, und wir werden Trübsal blasen, und die Mägen werden uns bellen. Haben wires nicht allerwege gut mit dir gemeint? Haben wir nicht deine Ausbildung in schwersten Sorgen bezahlt und entgolten, und was du jetzt bist und kannst, ist das nicht unser erstaunliches Verdienst? Daher ist es recht und billig, daß du bei uns bleibst und weiterhin beisteuerst zu dem, was unser kümmerliches Behagen ist. Was ist fortan unser Stolz? Gingen wir nicht unter die Leute und sprachen: ›,Hei, unser Sohn!‹, – ? Und was werden wir jetzt sagen: ›,Unser Sohn ist auf und davon, und wir haben keinen Nutzen mehr von ihm. Er kennt uns nicht mehr und dient denen, die das Land fressen möchten und täglich von unserem Gute fetter werden.‹, Allah verfluche sie! – Und sie haben keinen Glauben .«
    Wiewohl es mit Zabals eigener Religion ein wenig dunkel aussah, fehlte es doch dieser letzten Tirade nicht an einer gewissen Kraft, und er versprach sich von ihr die meiste Wirkung. Insgeheim befand er sich in aufrichtiger Angst, die ergiebige

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