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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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Spalten, auf dem Grund, in der Nähe des pulsenden Zentrums, rann das Wasser des Stromes, ewig sich erneuernd, wie hirnbefruchtendes Blut, das tief zurückkriecht und seine Wirkungen versteckt. Und auf der von empfänglichen Sinnen zitternden, dürstenden Oberfläche lastet die Sonne und blendet weiß, grell und trocken – – ohne Verständnis wie die Seele der Inglîz, die Gott verdammen möge!
    Oder sie ließen sich nach der Westseite übersetzen und drangen in die Wüste vor. Aber der feine Quarzsand sog die Hufe der tapferen Tiere an sich; denn im Sande haust ein Afrîd, dem es Letzung ist, Mensch und Tier zu verschlingen und sie als Skelette bei einem gelegentlichen Chamßin wieder auszuspeien. Derselbe Afrîd (wie Daûd wußte) wickelte sich zuweilen ganz in Sand ein, turmhoch wuchs er auf und kam durch die Palmen einher, gluthauchend und vernichtungslüstern ... Unter seinem wirbelnden Schritt barsten die Hütten auseinander, feste Nilschlammauern wurden zu Trümmern, und auch die Menschen mähte er ohne Erbarmen nieder... »Ja, das sind Windhosen, das gibt es«, meinte Percy. »Aber was deinen Afrîdbetrifft ...« – »Windhosen!?« dachte der kleine Geisterseher und war längere Zeit um seine Fassung gebracht.
    Dem Simeonskloster fehlte das Dach ... Es war verfemt. Es stand grau und pittoresk in der einsamen Wüstenmulde, sonnendurchloht in allen, auch den verschwiegensten Bezirken; es atmete Vergangenheit aus; grellstes Licht brütete auf seinen edelsten Verstecken; in seinen Höfen lag Schutt, und aus seinen Fenstern glotzte der blinde Verfall, mit dem glanzlosen Blick eines stargetrübten Auges. Percy ritt hinein. Er rief; es hallte zag. Der Schrei zerscholl an der Würde des trockenen Todes, der hier hauste. Der blonde Knabe unternahm eine gründliche Durchsicht, dann kam er enttäuscht zu Daûd zurück, der mißmutig im Schatten seines Esels hockte.
    »Du unternimmst Kühnes, Aldridge«, sagte er mürrisch. »Du bist voller Neugier – Allah wird dich strafen.« Percy zuckte die Achseln, sah ihn ein wenig höhnisch an und befahl den Aufbruch ...
    Es ging weiter; die Eselchen mühten sich tapfer über die Hänge, bis der erste freie Blick möglich war. Der Sand, mit zarten Windrillen, die seidig glänzten, eroberte allmächtig den Gesichtskreis. Stoßweise Brisen brachten Quarzkörnchen mit sich, die schmerzhaft auf den Gesichtern prickelten. Unabsehbare Dünen, einander in wechselnden Kurven überschneidend, füllten wimmelnd den Horizont unter einem steilen, hitzig leerenHimmel, und die absolute Ruhe zog beide in ihren unentrinnbaren Bann.
    Es gab dort eine Stelle, wo sie ein Stückchen Nil, der hier ein größeres Knie macht, und den Stausee von fern erblicken konnten, der wie Bronze schimmerte. Tief violett zog sich dort eine wirre Kette kahler Granitkuppen nach Osten, dunkel verstreut in dem helleren Gelb der Dünen und des nubischen Sandsteins. Durch ihre violette Farbe schienen jene niedrigen Dünen und flachen Hügel in eine imaginäre Ferne gerückt und ihre Größe schwer bestimmbar: so als blauten riesige Gebirge ganz fern am Horizont, in deren Täler es sich gleichwohl von irgendeiner hohen Warte aus wie durch ein Wunder spähen lasse. Dieser zauberhafte Augentrug blieb, wenn man ihm nachgab, beständig. Als sie aber näher ritten, rückte ihnen alles entgegen und schrumpfte zusammen. Als sie die Granitbrüche erreichten, ward es dunkel, und die Wölfe, die kleinen Wölfe, trabten von Shellal bis zur Barrage mit.
    Man hörte und sah sie nicht; nur die Esel, die sich auf den engen Hohlwegen nicht drehen konnten, zitterten unaufhörlich. Erst als man ins Freie hinausgelangte, weinten jene Wölfe und blieben zurück. Daûd hatte Percy aufgeklärt, warum die Esel zitterten; hatte ihn bilderreich aufgeklärt und dabei die Genugtuung gehabt, daß Percy ein wenig irre Augen bekam und sich die ganze Zeit dicht neben ihn hielt, die Hand um den Arm des Dieners gepreßt: Hei, er wußte ja nicht, daß Daûd insgeheim der Feigere war und sich seinerseitshinter dem weißen Gebieter versteckte. Erst als sie an die Schleusen kamen, wichen sie voneinander, und Daûd kostete die rosige Beschämung, die auf Percys Gesicht eingenistet lag, wie eine kleine Rache aus, die er für die »Windhose« hatte nehmen dürfen ...
    In einem von fünf Berberinern bemannten, rotweiß gestrichenen Boot ließen sie sich die Schleusen hinabrudern. Die Esel hatten sie bei der kleinen Holzstation gelassen, und nun hockten sie

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