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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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zu sein. So stand er am Gartentor, ein Goldstück von seinem ersparten Gelde mit der Hand umklammernd, und bebte vor Erwartung. Die nächste Zukunft lag vor ihm, unter dem Dunkel der nahen Nacht versteckt, wie eine von weichen heimlichen Farben glühende Zauberhöhle, in die er zum erstenmal seinen noch knabenhaft scheuen, aber kecken Fuß setzen werde.
    Mit Sadik, der endlich kam, verabredete er ein Zusammentreffen an der Ecke des Ezbekijegartens, sobald der Dompteur seine Tiere um Mitternacht in die Scheune zu Boulak zurückgebracht habe. Dann machte sich Daûd allein auf den Weg. Das Goldstück, das sich in seiner zusammengekrampften Hand erhitzt hatte, ließ er endlich in die Taschenfalte seiner bunten Schärpe gleiten. Er bummelte längs dem Gartenzaun der englischen Kirche die Scharia-Boulak herab. Das erstemal, daß er freiherrlich in dem Menschengetümmel unterging, versetzte seinen Sinn in einen angenehmen Taumel ... das war die erschlaffend süße Wirkung des dunkeln, mit tiefen girrenden Lauten lockenden Abenteuers, das wie ein schillerndes Fabeltier, wieein phosphoreszierender Krake seine Fangarme in jede Gasse streckte, um das lusthungrige Volk an sein betäubend duftendes Herz zu ziehen, an ein Zentrum von Brunst und Weihrauch.
    Zu beiden Seiten der Straße waren die Vergnügungslokale geöffnet. Rotierende Transparentreklamen erblitzten im schwarzen Himmel. Der Scheinwerfer von Orosdi-Bak aus der Mouski ließ seinen Lichtkegel über die flachen Dächer huschen. Die Trambahnwagen, überfüllt von aufatmenden, lebhaft schreienden Menschen, fuhren mit endlosem Geklingel dicht hintereinander her. In den offenen, zu kleinen Empfangssalons drapierten Tabakläden saßen, beide Hände auf das dünne Stöckchen gestützt, feiernde Kaufleute vom jenseitigen Viertel und machten ein Schwätzchen mit den Inhabern, die, mit auffallenden Krawatten geschmückt, in den Eingängen lehnten. Von Hitze erschlaffte Hochstaplergesichter strafften sich; zigarettenschmauchend beugten sich verdächtige Profile witternd auf die Straße hinaus. Ein Grüpplein einheimischer Weiber wallte hell auflachend in dem scharfen Licht. Auf den Eingangstreppen der Cinema-Theater hockten die Zeitungsjungen und balgten sich um die besten Stufen: dort in der Höhe, aus blutigen Zauberlöchern quellend, summten die Filmrollen mit einem fernen Propellergedröhn. Kalkweißes Licht stach aus den Auslagen; an jeder Ecke sprangen riesige Plakate ins Auge. Dann und wann fand der blinzelnde Blick eine Linderung an der einsamen Silhouette einer zwischen Miets-*Palästen aufragenden Palme, eines Gärtleins ober einer durchbrochenen Meschrebije, die steil im blauen, wesenlosen, vom Staub getrübten Atherlicht hing. In dem grünen Zaungeheck vor St. James rieselte das sachte Plaudern des europäischen Publikums und blitzten die weißen Leinwandjacken der diskret servierenden Kellner. Vor dem Hintergrund, aus dem Motive neuester Operetten drangen, drängten käufliche Damen ihre bunten Hüte zusammen und entwarfen mit leisen oder grellen Stimmen neue Raubzüge. Der Besitzer stand derweil vor dem Eingang und gönnte sich eine kühlere Abendbrise ... Daûd ging vorüber und sah ihn mit einem salbungsvoll kritischen Blick an. Er hatte das Gefühl, daß die speckigen Augen noch sekundenlang leicht verblüfft an seiner Rückseite hingen ... Nachdem Daûd die Straße überquert, in der als einzig dominierendes Geräusch die hohle oder helle Tonwelle der Bourseschreier wütete, ging er keckblickend weiter und bog in die Glastür der Sphinx-Bar ein.
    Er war recht groß für seine fünfzehn Jahre. Und doch kostete es ihn Mühe, die Wimpern nicht in einer leichten Verlegenheit zu senken, als er in das überfüllte Lokal trat und ohne weiteres die seidene Kelabije hob, um seinen Knien auf dem hohen Barstuhl Platz zu machen. Der Tarbusch saß ihm etwas schief im Nacken. Sein rundes, helles Gesicht sah vorsichtig umher. Dieser Knabe, der spätabendlich in die Sphinx-Bar einbrach und Getränke forderte, fand eine liebevolle Beachtung von seiten feister Effendisund griechischer Ladenjünglinge, die einen Moment ihre Unterhaltung unterbrachen und ihm nachblickten. Selbst die Scotchmen in ihren bunten Röckchen und Damen jeden Alters von eindeutigem Beruf wandten die Köpfe, um das junge Wundertier, das sich mit seinem Pfund Sterling wie ein lebfrischer Spekulant gebärdete, näher ins Auge zu fassen. Der weltmännische Barkeeper (etwas befangen zunächst, als Daûd mit

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