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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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seiner sonoren Stimme einen Brandy-Soda verlangte) verabreichte ihm das Gewünschte alsbald recht bereitwillig und murmelte eine liebenswürdig erheiterte Redensart, deren geheimerer Sinn dem Knaben naturgemäß entging. Er stemmte seine rotbeschuhten Füße an den Bartisch, noch benommen zwar, aber nach den ersten Schlucken schon sehr viel freier. Hei, heute hatte er Ausgang, und später traf er Sadik! Und er mußte vor sich hinlächeln, bis dieses Lächeln auf seinem Antlitz stehenblieb ...
    Als er seinen jungen Ehrgeiz öffentlich zur Genüge erprobt hatte, ließ er wechseln und füllte seine Schärpentasche mit klingendem Silber an. Zwischen Tischen, deren Inhaber ihm launige Bemerkungen zuwarfen, verließ er das Lokal voll elastischer Entschlüsse.
    Sadik war auf dem verabredeten Platz zur Stelle.
    »Ha,« schrie er, »was, das wird eine Nacht!« Daûd hatte ganz große Augen bekommen. Nach dem Durchschreiten langer, spärlich erleuchteter Kolonnaden, in denen Spielergruppen saßen, stiegen sie irgendwo eine Treppe hinan und tauchten in einem Labyrinth vonengen Gassen unter. Diese Gassen, durch Laternengaslicht, ausgehängte Talglampen und elektrische Kronleuchter von den Wirtschaften her taghell erleuchtet, lagen pittoresk, von feinem Staub geschwängert, gesäumt von langen Zeilen von Bänken und Tischen unter dem Dach der schwarzen Nacht.
    Sadik ging, sein Stöcklein fürstlich handhabend und mit den Ärmeln schlenkernd, als prompter Kenner voran. Und jetzt, während sie um verschiedene Ecken bogen, erkannte Daûd das ersehnte Wunder; es lag und dehnte sich dort, lachte hoch und leicht, schob die funkelnd geschmückte Hand gespreizt aus dem Dunkel. Da versank und verklang etwas in ihm unauffindbar für immerdar, und das Blut, den schwachen Willen mit willkommenem Reiz daniederbeugend, triumphierte allmächtig.
    Diese Nacht trennte ihn von dem, der er noch gestern war; zog um ihn einen Bannkreis, in dessen Mittelpunkt ein Weib saß. Diese Nacht errichtete eine Scheidewand, hinter der seine schwärmende, besinnliche Jugend zugrunde ging; sie wies einem keimenden, harten Intellekt die Richtung zu dem Sumpf der Instinkte, auf deren durchfaultem Grund er vielseitig wie ein schleichendes Pflänzlein gedeihen sollte – – – eben als Intellekt einer Rasse, die sich knechten läßt, weil sie ihrem geheimen Hang zum Handlangertum (und sei es auch mit Zähneknirschen und pompöser Ableugnung!) wider Willen den Tribut zollen und unterliegen muß. – – –Man gehe und suche den Daûd, der noch vor kurzem im Gezirê-Garten saß und mit einem höheren Wesen, das kalte, graue Augen hatte, unterwürfig verhandelte! Was hier stand und sich fassungslos umsah, mit Blick und Ohr neue, einstürmende Reize trinkend, in tiefsten Fibern aufgerührt: dies halbgeschlossenen Auges lächelnde Menschlein, das die Heimat seiner Sinne entdeckte, war nicht der alte Daûd mehr, war einer aus der grölenden oder zielbewußt schweigsamen Hefe, einer der niederen, vom Tagelohn Lebenden oder von fetter Pfründe zehrenden Vergnügungssüchtigen, die, zerlumpt oder reich, heitere Bettler oder wählerische Kaufherren, durch diesen schimmernden Pfuhl wateten!
    Ein Plappern und Plärren aller östlichen Sprachen rann an den Wänden entlang. Zuhälter aus allen Ecken der Levante, aus Zypern, Malta, Syrien gingen, sich in fleckigen Gewändern blähend, die Bambusstöcke pompös aufstoßend, kritisch umher, beflüsterten Kuppeleien oder nickten zischend in die Richtung der Weiber, denen sie ihre praktischen Dienste leisteten. Eingeborene Führer, gefälschte Atteste schwingend, wanden sich mit schleimigen Stimmen an befangene Fremde heran. Sbirren, Matrosen aller Nationen, Vertreter des Balkans in phantastischen Trachten, Kawassen, die sich einen Ausgang machten, indische Seide- und Bijouterie-Händler, Beduinen mit breiten, blauen Wolltroddeln an den niedrigen Tarbuschen, französisch miteinander schäkernde Türken besserer Klasse, ja, selbst Menschenauswurf ferner Ostasienhäfen vermischten, verquirltensich mit dem Gesindel aus hiesigen Vierteln, und die ganze Menge drängte sich, in den kurzgeknickten Gassen leicht überblickbar, wie in einem bunten verruchten Traum durcheinander, der von den entlegensten Möglichkeiten funkelte.
    Und Daûd staunte und zögerte. Wäre nicht Sadik, der Kenntnisreiche, vor ihm hergewandelt, so hätte er sich voll begeisterter Bereitwilligkeit einfach niedergesetzt, mitten zwischen die herausgestellten Stühle

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