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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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Sie bricht mitten im Lachen ab. Sie avanciert in drei Sekunden zu dem, was sie ist: zu einer Engländerin, die es lästig empfindet, von einem Orientalen angestarrt zu werden. Für einen Augenblick drehen sich auch die anderen Köpfe, und graue Blicke wandern hinüber...
    Ein Krampf spannt seinen Körper. Ein heulender Wutschrei klingt in seinem Innern auf. Was berechtigt diese Hure, ihn so anzusehen?
    Nichts im Lokal hat sich geändert, kein Mensch hat dieses ganz belanglose Minenspiel wahrgenommen, diese gleichgültig-kalte Kriegserklärung zwischen zwei Tischen; die Makler, Kaufleute und Gecken schreien weiter und lachen mit ihren albernen Papageienstimmen. Aber aus dem flüchtigen Blick der Kokotte starren Ianes, starren Percys Augen; und man empfängt, wie es die Regel will, den Tritt von der Rasse, der man wider Willen nachkriecht...
    Er bricht früh auf. Und zwischen seinen weißen, von leidender Wut entblößten Zähnen zischt es unablässig hervor: »Ja, Bint-chara! Ich werde dich kaufen! Du wirst klein werden, du Hündin!« – – Dabei ist es nicht einmal mehr ausschließlich dieses Mädchen, was ihm die Fassung raubt, sondern in dem keuchendenSelbstgespräch ist alles einbegriffen, woran er sich je den Kopf blutig gerannt ... Geld! Das ist die Losung, und er wirft sich darauf, er knebelt es, er pflastert seinen Weg damit ... »Ah, ihr sollt sehen, ihr sollt sehen ... Verdammt sei eure Religion und dreimal verdammt euer ganzes Geschlecht!«
    Er steht fassungslos im strudelnden Nachtverkehr unter dem grellen Licht der Bogenlampen und redet mit bebenden Lippen und zappelnden Händen ... Endlich beruhigt er sich, biegt in die Nasa ein und verschwindet in der Klot-Bey ... – –
    Er unternimmt, um Strohmänner für eine neue Scheingesellschaft zu ergattern, diskrete Rundgänge in der Garden-City. Das ist ihm ganz und gar nicht genehm. Er muß sich in einen Scheinpanzer stecken, muß kurz und sachlich reden, Handgesten tunlichst unterlassen und kalte, stählerne Blicke, zu Eis kondensierte Ablehnung in Kauf nehmen. Er hüllt sich in einen simpel geschnittenen Gehrock und drückt seiner beweglichen Miene mit aller inneren Gewalt, allem Willen zur Bereicherung jenen Stempel auf, jenen maskenhaft unantastbaren Ernst gut fundierter Aussichten, verquickt mit dem Schimmer edler Kulanz, die auch andere profitieren läßt, nur aus dem Grunde, weil sie notorische Ehrenmänner sind ...
    Gelingt es ihm, die Frau des Hauses früher anzutreffen, so wird ihm der Sieg gelegentlich erleichtert ...
    Zuweilen aber, nach einer erfolglosen Unterredung, die auf der einen Seite an der Stummelpfeife vorbeiund denkbar knapp, auf der anderen mit schier jammernder Redseligkeit geführt worden ist, steht er wieder hinter der verschlossenen Tür; seine Augen werden groß, daß man das Bläuliche sieht, seine Hand zerfetzt in nervösem Wutkrampf den Prospekt, und sein Herz gedenkt jenes früheren stahläugigen Knaben, der Fußtritte aus der Jugendzeit, der moralischen und der tatsächlichen, deren schmerzende Spuren er am ganzen Körper wieder erwachen fühlt. Und der vom Respekt nur verdichtete bleierne Haß rührt sich in beweglichen Aufwallungen ....
    Nächtelang liegt er wach und grübelt dem Tonfall nach, der ihm hinter buschig blonden, knapp geschnittenen Schnurrbärten hervor entgegengeklungen ist; grübelt dem Achselzucken nach, der Bewegung irgendeiner weißen Hand, die vielleicht kurz zuvor einem Berberiner mit der Reitpeitsche einen blutenden Striemen über das Gesicht gezogen. Ja, nur aus den Linien, der Belebtheit, der Intelligenz so zugreifender, trainierter Finger ließ sich etwas herauslesen – denn das Gesicht blieb kalt; lächelte nicht und erboste sich nicht, weilte auf kurzem Klappkragen wie ein künstliches Steinmodell mit allen Merkmalen der Unnahbarkeit ....
    Von seinem Bett aus starrt er in das Dunkel, und es gelingt ihm nicht, sich mit dem Zauberwort »maalesh« über die Demütigung hinwegzusetzen, die er gewittert, und die er sogar bei manchen Gelegenheiten in formloser Weise an sich erfahren: – – Eine hellkreischende Stimme lebt in seinem Ohr auf, eine Stimme, die ehemals sein Gebet zerschrien, und die er hasst.
    Und mit innerstem Erschrecken empfindet er gleichwohl die fortwirkende Macht jener Stimme, denn seitdem scheint es ihm eine Erniedrigung zu sein, dem Ritus zu frönen, und er spürt sich als hilflosen Zwitter, hin und her schwankend zwischen dem Liebäugeln mit der europäischen Seele, die nur

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