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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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machen, haben sich beide bis zu den Knien aufgeschürzt, und ihre runden Beine in weißen Seidenstrümpfenwechseln jeden Augenblick den Platz; auf überzierlichen Hacken drehen sich die Schuhe in kleinen Winkeln unablässig hin und her. Und trotz aller Vorsicht gibt es noch ein leises Geräusch, wenn ihre aufgebauschten, schwarzseidenen Kleider sich berühren.
    »Ich sehe ihn«, haucht es zurück.
    »Was tut er?«
    »Er sitzt mitten im Zimmer. Auf einem Taburett – er hat etwas in der Hand.«
    »Ja, nun sehe ich ihn auch. Ah, er hat ein Bild in der Hand. Er sitzt ganz still und stiert es an. Sieh, sieh!«
    Auf einmal fährt Emina zusammen und greift nach der Hüfte. »Du tust mir weh«, stöhnte sie. »Tu deine Hand fort. Es ist die Stelle, wo er mich geschlagen hat ... Oh, tu deine Hand weg! – Warum machst du deine Finger so hart ...«
    Ferida zischte. »Es ist das Bild einer Frau!«
    »Einer Frau ...? sagst du ...?«
    Ein heftiges Geräusch dort unten wird laut. Beide fahren zurück. Nach angstvollen Sekunden stehlen sie sich wieder an den Platz zurück.
    »Das Bild liegt am Boden ... Er ist aufgestanden ...«
    Ein leiser, scharf und schnell hervorgestoßener Satz gebiert sich aus der Totenstille, wächst an und endet in einem heftigen Schrei, dem ein zischender Laut folgt ...
    »Was sagt er ...?«»Er beschimpft das Bild ...«
    »Ah! – Und nun?«
    »Er speit darauf ...«
    »Er speit es an??«
    »Ja ... Hörst du? ... Sieh hinein ... Nun tritt er es mit Füßen ...«
    Ein rhythmisch wiederholter Knall, wie von einem Mörser ... Dann schwere Atemzüge und schnelle Schritte ...
    Die jungen Weiber ächzen leise auf und huschen über die Treppe zurück. Durch die Perlenschnüre, die noch hin und her schwanken, schiebt sich ein fettes Gesicht von der Farbe unreinen Bienenwachses mit Augen, die langsam, voll grübelnden Argwohns, den Gang durchspähen ... – – – – – – – – –
    »Eine Engländerin!!!«
    Der kleine Finger Eminas fährt auf einer befleckten Photographie einem Umriß nach. Die beiden sitzen hinter einem Bollwerk von Kissen, mit dünnen, seidenen Hemden bekleidet, und zischeln. Sie halten Zigaretten in den Händen und schieben die hellen nackten Schultern zusammen.
    »Sie hat keine Brüste. Nicht eine Spur von Brüsten. Sie ist mager wie ein ... pigeon!« – Leises Gelächter.
    »Er muß sie mit Seifenwurzeln mästen.«
    »Und ihre Hüften! – Gott ist groß!«
    »Ein Knabe hat stärkere Hüften.«
    »Man sieht jeden Knochen ... Warum, glaubst du, hat er sie beschimpft?«»Uh, diese Inglîz! – Nun, vielleicht hat sie ...« Fassungsloses, prustendes Gelächter. Helles Entzücken.
    Plötzlich tiefste Niedergeschlagenheit. Emina läßt das Bild aus der Hand gleiten. Beide grübeln sich an ... Dann, mit leisen Stimmen, bereden sie einen Plan, einen ganz langen, verschmitzten Plan.
    Eine schiefergraue Wolke verdeckte die Welt; sie wirbelte sanft in die Höhe, breitete sich pinienähnlich aus und zerschmolz, in kleinen, lautlosen Kaskaden fallend, zu einem duftenden Schirm, zu einem breiten Dach, zu einer Ummauerung der Augen ... Der Rauch stieg auf, feierlich strömte er, tief heimlich und voll Weihe; er verwischte und begrub alles und nahm die Schalen hinweg, die leeren Konturen, um den Kern der Dinge erglühen zu machen in seltenen nur geahnten Farben, um einen wuchernden Garten belebter Symbole aufzudecken, langsam, ruckweise und auf wunderlich zarte Art.
    Der Bei hatte sich in das dunkelblaue Kissen zurückgleiten lassen. »Es ist noch Tag«, dachte er. Ja, ein Funkeln war vor seinem Blick: das Blau, das vor der Meschrebije lagerte. Draußen verwüstete das grelle Licht die Welt ... Oh, nehmt es hinweg! Laßt es nicht herein!
    Nein, Bei, lassen Sie Frieden in Ihrem gepeinigten Herzen Einkehr halten und freuen Sie sich der guten Stunde. Führen Sie den Knopf Ihrer Pfeifeauch wieder zum Mund und trinken Sie, trinken Sie. Sehen Sie, Bei, das tut Ihnen gut ...
    Unnennbarer, beschwingter Gleichmut ... köstliches Hängen im Raum, gewichtsloses Atmen ... Wo ist das Hirn? ... Ist es noch hier, wo ich diesen meinen Körper sehe? ... Ist es dort, wo ich meinen Blick sich einsaugen lasse, auf dem dunkelroten Knickmuster des Teppichs? ... Ja, in der Tat, von dort aus denke ich. Ich sehe matte Farben, und durch meine Ohren geht der Klang einer vertrauten, schier vergessenen Melodie auf und ab. Sie sitzt in meinem Hirn: Ich bin die Melodie.
    Dunkle Schatten entstehen auf der grauen Wand, hinter der

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